Berliner Besuch

Südpol, 30.01.2015: Vsitor, namentlich Lea Maria Fries (voc, electr) und David Koch (voc, g, synth, electr) geben ihr offizielles Konzertdebüt nach dem Après-Jazzschule «ReDesign». Eine EP-Taufe, die zugleich für Begeisterung und Kritik auf hohem Niveau sorgte.

(Bilder: Stoph Ruckli & Nadine Schönfeld)

Die Voraussetzungen waren durchaus schlecht, könnte man meinen: Sowohl Fries als auch Koch und Gast-Drummer Mario Hänni schleppten alle die Grippe mit sich herum. Medikamenten-Musik, Dafalgan-Dance, Erkältungs-Electro? Keineswegs. Beim Betreten der Bühne machten Vsitor einen kraftvollen Eindruck, dank impressiver Bühnenpräsenz, die sich auch musikalisch niederschlug. Mit «Try to Transmit» wurde überraschend jenes Stück zum Eröffnen gewählt, bei dem Koch den dominanteren Gesangspart einnimmt. Er erinnerte hierbei stimmtechnisch stark an Joe Newman (Alt-J). Fries bediente derweil das Drum-Pad und stiess im Höhepunkt, dem magischen Duett, stimmlich hinzu. Der Song – vielleicht der beste der EP – verzauberte und erschlug im gleichen Zug. Welch ein Start, welch ein Zeichen! Die Intensität setzte sich auch im Folgewerk «High Waves» fort, wo Fries einmal mehr bewies, warum sie vokaltechnisch zu den Besten ihres Fachs gehört: Was diese Frau singt, schafft sonst kaum ein menschliches Wesen – selbst erkältet klappten die meisten Parts tadellos. Mucksmäuschenstill war’s zu diesem Zeitpunkt im Publikum, welches in seiner Vielfältigkeit vom Künstler über den Journalisten bis zum Arbeiter verschiedene Gesellschaftssegmente abdeckte. Spannend!

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Mit dem Dazustossen von Hänni erfolgte ein relativ geschickter Schachzug. Wie oft wird bei Bands bemängelt, «es habe halt schon ein Drummer gefehlt». Weg von der Computerdose, hin zum organischen Trommler: Richtig so! Gerade Hänni, einer der versiertesten Schlagzeuger im Tanzsegment (u. a. Pablo Nouvelle, Hanreti) kann matchentscheidend sein für solch eine Show. Leider beschränkte sich sein Spielraum etwas zu sehr im Verlaufe des Konzerts. Vermutlich auch deshalb, weil beim Vsitor-Sound nicht unbedingt ein Drummer eingeplant wurde – zudem die Gruppe nur ein paar Mal zusammen geprobt hatte vor dem Anlass: [youtube BKwtNiXgAKE nolink] Im Verlauf des Gigs offenbarte sich ein dominanter Kritikpunkt. Während den ersten drei Stücken aufmerksam, begann der Redeschwall bei den Zuhörern anschliessend immer lauter zu werden. Kein Wunder, wenn jeder Song mit banalen Floskeln angekündigt werden musste. «Wir wünschen euch viel Spass» wirkt zwar ehrlich-sympathisch, passt aber irgendwie nicht so recht zum internationalen Sound und Feeling von Vsitor. Da fehlte das Fünkchen Professionalität. Ein bekannter Kulturjournalist meinte in diesem Moment folgerichtig, mehr Radikalität würde der Band gut tun. Vulkanartig eruptierte das Gelaber dann bei der Ansage der Sängerin, welche eine «Umbaupause» ankündigte. Diese dauerte lediglich zwei Minuten, reichte jedoch, um die Konzentration vollends verschwinden zu lassen. Wähnte man sich bis zu jenem Zeitpunkt in einem schummrigen Grossstadt-Club, durchbrach das Festhüttengaudi wie ein Donnerschlag die Atmosphäre. Die Plattentaufe-Falle – viele Bekannte, welche nicht wegen der Musik, sondern dem Anlass respektive den auftretenden Personen kommen – hatte zugeschnappt. Schade!

Vsitor

Doch Fries, Koch und Hänni wären nicht drei der wohl besten aufstrebenden Schweizer Musiker, hätten sie nicht zwei Asse im Ärmel. Lautstärke aus dem Publikum bekämpft man am besten mit einer Lautstärkeregelung auf der Bühne. Diese kann leiser oder lauter ausfallen; Vsitor entschieden sich für letztere Variante. «Lonely Hunter» (leider nicht auf der EP) liess endlich Tanzfeeling aufkommen, durchbrach die drohende Eintönigkeit. Ein Groover, wo gerade Hänni seine oben angesprochenen Qualitäten ausspielen konnte. Grandios! Die bis zu jenem Zeitpunkt musikalisch etwas vermisste Entfesselung kam auch im Folgestück zur Geltung, dort sogar noch intensiver: «Night Rider» hiess das Abschlusstück und liess Vsitor vollends ausbrechen. Koch begeisterte ohnehin den ganzen Abend an Gitarre und Synthie (das ist Multitasking höchster Güte, stellenweise spielte er beide Instrumente zugleich) und krönte seine Leistungen mit einem grandiosen Gitarrensolo. Zugleich switchte Fries nach intensiven Gesangsleistungen (trotz Grippe, um das erneut zu betonen!) in allen Lagen nahezu nahtlos an den Synthie und auch Hänni drückte ein letztes Mal ab. So muss das sein, so soll das klingen, so kann das gross werden! [youtube MJkbryQN5bs nolink] Das wünscht man Vsitor auch aus tiefstem Herzen, denn jene Band wagte, was sich viele verwöhnt-verzogene Schweizer Formationen nach wie vor nicht trauen: Den Ausbruch aus heimischen Gefielden, um der Karriere Aufschub zu gewährleisten. Seit knapp einem halben Jahr wohnen die Jazzhochschul-Absolventen Fries und Koch nämlich in Berlin, wo das ursprüngliche Diplomprojekt gepusht wird. Solch eine kurze Zeit reicht freilich nicht, um Botschaften vollends zu entwickeln. Momentan sind Vsitor eine Formation, die zwar gute moderne Musik macht, welche sich – vielleicht unbewusst – aus Namen wie James Blake, Alt-J, The XX oder The Acid zusammensetzt. Auf gutem Wege also. Doch fehlt eine gewisse Spur Eigenständigkeit und Attitude. Dies ist selbstverständlich Kritik auf sehr hohem Niveau. Dort muss man bei diesen Musikern aber auch ansetzen; mit Honig ums Maul ist längerfristig niemanden geholfen. Wer Fries und Koch persönlich kennt, weiss, dass sie Tüftler und ungemein klar denkende Menschen sind. Wenn die beiden folglich ihre Message gefunden haben, können wir uns alsbald auf Berliner Berühmtheiten freuen. Dann vermutlich nicht mehr im Südpol Club, sondern mindestens einen Stock weiter oben in der grossen Halle. Vorfreude herrscht!