Wie ein Dessertkäse

Loge Luzern, 12.04.2015: Heini Gut und MC Graeff. Ein Spoken-Word-Abend, der so schwer oder leicht ist, wie man es eben zulässt. Einzuordnen irgendwo zwischen Schulzimmer, Bikerbeiz und Studentenbude.

Die Beschreibung des Abends fand ich phantastisch nichtssagend, mein Freund meinte, es klinge nach der Beschreibung eines Dessertkäses: «Heini Gut und MC Graeff lesen anagrammatische Extrusionen und gutenachtgeschichtliche Versimpelungen zum ‹sacre du printemps›». Die Loge aber hat uns wie immer unkompliziert und charmant empfangen, das Ambiente lohnt sich einfach jedes Mal. Gratulieren durfte man dann auch noch zu dem Gastpreis der Werkbeiträge. Graeff versicherte sich, dass alle und er genügend zu trinken hatten und erklärte mehrmals, dass der Abend nicht kompliziert werden würde, sondern eher familiär (Was durchaus den Tatsachen entsprach, waren doch viele der üblichen Verdächtigen aus Kultur- und Literaturszene anzutreffen). Und dann begann einer der seltsamsten Literaturabende, die ich je geniessen durfte. Graeff brachte seine Lieder und Gedichte in allseits bekannter Manier: Mit sonorer Stimme, in wunderbarem Hochdeutsch, die Stirnfransen wild aus dem Gesicht schüttelnd. Zuerst ging es irgendwie um Sex, Blumen, Erinnerungen und das letzte Mal. Es war gut, bildgewaltig und provokativ. Es erntete viel Applaus. Und daneben sass Heini Gut. Und wenn die beiden nebeneinander sitzen, sehen sie ein wenig aus wie die Schuljungen, die immer Scheisse bauen, jetzt aber Gedichte vortragen müssen, und es trotz aller Peinlichkeit super machen. Dies lag vor allem auch an Heini. Der wirkte in seiner Jeanskluft und mit dem Vokuhila eher wie ein Biker als ein Sprachakrobat. Sehr sympathisch. Dieser Eindruck verstärkte sich, als er seine Anagramme vortrug: Im Stehen, nervös, Dichterpose. Rechtes Bein seitlich nach vorne, rechter Arm hält Text (Gesicht wird nicht verdeckt), linker Arm in die Hüfte gestemmt.

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Und wie es Anagramme so an sich haben, man versteht irgendwie nur die Hälfte, und diese Hälfte lässt die Gedanken irgendwohin schweifen, bis man wieder zu Heini zurückkehrt, der unerschütterlich vor einem steht. Ich würde Anagramme lieber lesen, um die Dichte der Buchstaben zu würdigen, aber Heinis Performance hat das wettgemacht. So war die Stimmung plötzlich eher wie in einer Studentenbude. Ist die Loge wandelbar! Das Bier in der Hand, dadaistischen Texten lauschen und sich doch recht intellektuell fühlen. Das Publikum war allerdings nun sehr sparsam mit dem Applaus, vielleicht waren sie bei Heini Gut selbst intensiv damit beschäftigt, Anagramme zu bilden. Die beiden Künstler wechselten sich ab, Graeff zog es zu Gutenachtgeschichten und der Politik, wo er provokant und gekonnt vom Bataclan und Zäunen sprach. Heini zauberte seine Texte aus Hosentaschen und Jeansjackentaschen hervor, geschrieben auf langen Zetteln, die er nicht immer lesen konnte: Was häd si jetz da gschribe? Hat es deine Frau geschrieben, lieber Heini?

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Der Abend war angefüllt mit Wortspielereien, Humor und Texten, die man gerne ein zweites oder drittes Mal lesen würde. Ein Potpourri, das durch den unkomplizierten Rahmen, den familiären Kreis und die wunderbare Location zusammengehalten wurde.