«Kameracheck - Action!»

Treibhaus Luzern, 06.10.2014: Ganz zeitgemäss verbindet das «Bonker Inferno» Live-Erlebnis mit Multimedialisierung fürs Internet. Ein Einblick in Dreharbeiten, bei denen es heiss zu und her ging.

(Fotos: Tino Scherer)

Das Bonker Inferno ist ein A-Capella-Rap-Battle, bei dem die Teilnehmer mehrere Wochen Zeit haben, Text und Performance zur Erniedrigung ihrer Gegner vorzubereiten. Damit unterscheidet es sich von den vermutlich besser bekannten Freestyle-Battles, bei denen Kampfpaarungen und Textproduktion mehr oder weniger spontan ablaufen, begleitet von einem Beat. Das Bonker Inferno ist eine Marke in der Deutschschweizer Hip-Hop-Szene. Während es 2011 noch im engen Rahmen der Luzerner Agglomeration stattfand, hatte die zweite Ausgabe 2012 bereits Vertreter aus mehreren deutschsprachigen Kantonen. Die Sieger in zwei Kategorien (z.B. «Flow» und «Punchlines») werden jeweils bei der Filmpremiere von einer Jury gekürt, danach sind sämtliche Battles auf YouTube verfügbar. Heute, für die Nummer Drei, pilgert man erstmals nicht zu den Ruinen in der Allmend («Bonker»), sondern weicht wegen Niederschlagsängsten in ein spontan wirkendes Treibhaus aus (Bar und Gartentor sind geschlossen). Das etwa sechsköpfige Filmteam von ahundredandten und ein Fotograf richten sich hastig ein, als ich am frühen Nachmittag den Ort des Geschehens betrete. Zwölf Sprechgesangsartisten (nur männliche) mit beleidigenden Absichten und ungefähr 150 Homies (auch weibliche) und ansonsten Interessierte, die es in die halbgeschlossene Gesellschaft geschafft haben, warten unter der brennenden Sonne auf dem Spelteriniweg. Dann ist es soweit: des Treibhauses Konzertsaal wird vollgepumpt, das Holz unter dem Hexenkessel von Host Pablo Vögtli (SRF Bounce) in Flammen gesetzt.

Es wird hier gar nicht erst versucht, authentisch (d.h. in Mundart-Verschriftlichung) wiederzugeben, was die Battle-MCs an Unerhörtem über ihre Lippen liessen, denn das würde nicht nur der Dialekt-Vielfalt nicht gerecht werden, sondern es bliebe die prosodische Beflissenheit und körperliche Ausdruckskraft jedes Mitstreiters gänzlich unbeachtet — was eine Frechheit wäre, da am Bonker Inferno mit seinen Vorausscheidungen und gezielten Einladungen nur teilnimmt, wer als Rapper seinen Style gefunden hat und einer umfassenden Performance fähig ist. Stattdessen beschränke ich mich auf die verkürzt-paraphrastische Wiedergabe dreier persönlicher Punchline-Highlights (Punchlines: das sind zumeist paarreimverbundene Verse pejorativen Inhalts, punchen tun sie aber nur, wenn sie in den Ohren des Publikums derb/heftig/vernichtend/sprachwitzig/abstrus-lustig etc. sind). Erstens: «Wegen deiner Mutter haben Romands und Deutschschweizer keine Probleme mehr miteinander, schliesslich hat sie den ganzen Röstigraben aufgefressen (deshalb ist sie auch so fett)». Zweitens: «Du hast mehr Eicheln in der Hand als mein Vater beim Donnschtigs-Jass (so schwul bist du).» Drittens: «Deine Lines sind so überdacht wie ein Cabrio.» Wie zuvor erläutert, sind viele Highlights aus Formgründen a priori ausgeschlossen: man darf sich also auf den Film freuen! Für diesen mussten wegen überhitzten Kameras derweil zwei Pausen eingelegt werden («Zehn Minuten, reicht für die Zigi, aber nicht für den Joint!»).

Ein Grossteil der Lines orientierte sich auch beim Inferno Nr. 3 an den gängigen Ordnungsschemen für Witz und Beleidigung, wie sie nicht nur in der Hip-Hop-Musik existieren, hier aber aufgrund ihrer Zelebrierung zuweilen zurecht auf gerümpfte Nasen stossen. Immigration, Minderjährigkeit, Behinderung und Übergewicht werden ins Feld geführt, Mütter, Schwestern und Freundinnen (des Gegners) gefickt, Homosexualität zum Vorwurf gemacht, wobei ganz nach altrömischer Art natürlich nur derjenige abgewertet wird, der empfängt. Mit sexueller Macht und quantitativen Merkmalen seines Glieds schmückt sich der Sprechende sprachlich. Gerade vor diesem Hintergrund war das letzte Battle des Tages erfrischend. Hier traten sich LCone (LU) und Cynic (ZH) gegenüber.

Ersterer unterhielt in seiner grotesken Frechschnäuzigkeit und überzeugte dabei mit Stimmvarianz, klingenscharfer Artikulation und dynamischer Raumeinnahme, was er neben dem Talent wohl auch seiner Ensemble-Mitgliedschaft bei Verona 3000 zu verdanken hat. Zweiterer scheute abstrakte Sprachspiele und das Gegenwärtige reflektierende Zeilen ebenso wie das Morbide nicht. Dieser fügte auch angesichts der schwitzenden Leiber im Raum an, dass ausländerfeindliche Lines gerade nicht ziehen würden, da momentan alle «Schwiizer» seien. Daran sei zum Schluss ein Zitat aus einem anderen Battle angefügt: «Oder wie heisst es politisch korrekt? Du bist ein Rapper mit Menstruationshintergrund.» Wie würde — vorausgesetzt es ist ideologisch möglich — das Pendant dazu wohl klingen, wenn eine Rapperin in den Cypher träte? Einige Gäste der Zürcher Fraktion beschäftigte hingegen eine ganz andere (rhetorische) Frage: bietet Luzern ein genug neutrales Setting, um ein nationales Turnier auszutragen?

Filmpremiere & Siegerehrung: 25. Oktober im Bourbaki Luzern.