«Ich bin keine Bergmalerin»

Kunsthalle Luzern, 10.01.2020: Barbara Gwerder tauchte in die unwirtliche Welt der Berge ein und bringt uns Bilder zurück, die von den Intensitäten dieser Grenzsituation zeugen, aber den Sturz in den Alpenkitsch vermeiden.

Selten versammelten sich derart viele Menschen in der Kunsthalle Luzern, wie an der Vernissage zur Ausstellung «Mitten im Motiv» der Schwyzer Künstlerin Barbara Gwerder am Freitag. Wollte man die Kunstwerke betrachten, blieb einem im dichten Gedränge nichts anderes übrig, als nah an der Wand zu stehen und hinauf zum Motiv zu blicken. Genauso wie Barbara Gwerder nah am Berg stand und immerzu «nach oben schaute». Hinauf in die Höhe. Nie in die Weite des Tals.

Ihr Wunsch, «möglichst hoch malen» zu können, ging 2015 mit dem «Prix FEMS» der Fondation Edouard et Maurice Sandoz für ihr Projekt «AlpStreich» in Erfüllung. Unter freiem Himmel der Muotathaler Bergwelt und in einer Urner Alphütte entstand ein Werk, das – in Peter Sloterdijks Worten – von einer starken «vertikalen Spannung» zeugt.

Der Berg bewegt

Wenn es etwas gibt, das als Wesensmerkmal und Anziehungspunkt der Schweiz betrachtet wird, dann sind es die Alpen. Die inflationäre Konjunktur des Bergmotivs ging einher mit dem Aufstieg des kommerziellen Alpinismus.

Barbara Gwerder in der Kunsthalle Luzern

Wie aber könnte eine Kunst in Zeiten des zunehmenden Klimawandels aussehen? Wenn die Gletscher schmelzen und der Permafrost auftaut? Der ewige Fels bröckelt und die Waldgrenze steigt? Der Schnee mit dem Helikopter angeschafft werden muss und der Bergtourismus zu kollabieren droht?

Dann erscheinen nicht-repräsentative Berge nur folgerichtig. Aber auch Bilder, in denen die elementaren Kräfte in ihrer Materialität zur Geltung kommen und so die ideale Form zum Erodieren bringen. Etwa der Regen, der die Farbe verlaufen lässt. Der Wind, der sie zur Seite fegt. Und die Kälte, die sie gefriert. So wie bei Barbara Gwerder.

Lokaler Gewittersturm

Ihr Auszug aus der Komfortzone ins «beste Atelier» war auch eine Rückkehr. Denn nicht als Fremde, als Touristin, wie the english man in Lucerne William Turner, reiste sie in die Berge. Sondern als Einheimische, als «Bergbauerntochter», wie sie von sich selbst sagt, welche die unwirtlichen Lebensbedingungen kennt. Als local heroine zog sie aus, um in tollkühner Schonungslosigkeit und trotziger Beharrlichkeit die Grenzen der eigenen Identität zu überwinden.

Barbara Gwerder in der Kunsthalle Luzern

Ein Heroismus, der geradezu anachronistisch wirkt. Und doch so modern ist. Denn was in der Kunst die Landschaftsmalerei en plein air war, war in der Wissenschaft die geographische Vermessung der Welt und in der Wirtschaft der kommerzielle Tourismus. Was wortwörtlich und metaphorisch im Gipfelsturm kulminierte.

Im Flow der Falten

Gegenüber dem medialen Spektakel der modernen Kulturindustrie ist die einsame Künstlerin am Berg eine Reminiszenz an das romantische Genie. Das in exzentrischer Authentizität mit der Staffelei quer in der Landschaft steht. Und bei dem das Asketische und Artistische sich wechselseitig bedingen.

Barbara Gwerder in der Kunsthalle Luzern

So ging es im Winter auf der Alp die meiste Zeit nur ums Überleben, erzählt Gwerder. Physisch wie psychisch. Eingehüllt im Schnee sei sie sich wie in einem Vakuum vorgekommen. Als rettendes Exerzitium der Einsamkeit schnitzte Gwerder aus Feuerholz 3000 Edelweiss Blumen.

Die Reduktion auf das Notwendige ermöglichte aber auch die Freiheit der Konzentration. So wie die existentielle Grenzsituation die Ekstase. Ein Flow, in dem Berg, Bild und Ich ineinanderfliessen.

Der schmale Grat

Die Fallhöhe ist hoch. Gerade in der Bergmalerei ist der Absturz in den Kitsch nur einen Schritt entfernt. Man denke an das Alpenglühen und dessen unzählige Abbildungen. Doch Gwerders Bilder sind nicht gefällig. Und mögen Erwartungen mancher enttäuschen.

Bewusst habe sie für die Ausstellung abstraktere Bilder ausgewählt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie mittlerweile an einem anderen Ort sei. Es geht ihr also weniger um die realistische Wiedergabe des Objekts, als um die gestische Nachahmung der Intensität der spannungsgeladenen Beziehung, die sich im intuitiven aber präzisen Strich entlädt.

Die Linie ist denn auch ihr wichtigstes Stilmittel. Sie deutet das Profil der Berge an. Und markiert zugleich den hohen Horizont. Sie definiert Grenzen und bildet Rahmen, die überschritten und gesprengt werden durch den Exzess der Farben, welche flächig wie Farbfelder wirken. Die kühnen Striche und steilen Linien erinnern an schroffe und aufragende Bergwände. Während die schwebenden Gestalten das Entrückte und Unnahbare erahnen lassen. So wie die massiven Farbflächen die eingefalteten Gesteinsmassen.

Schliesslich findet sich doch noch ein Bild des Alpenglühens. Ein Werk, welches das Motiv noch am meisten realistisch repräsentiert, aber für die Ausstellung am wenigsten repräsentativ ist. Dies war vielleicht Gwerders letzter Streich. Oder doch nicht?

Barbara Gwerder – Mitten im Motiv
Bis SO 15. März
Kunsthalle Luzern

Über den Tannen – Portrait über Barbara Gwerder (Film von Esther Heeb)
1. Und 16. Februar und 15. März
stattkino Luzern