Fragen über Fragen

Theaterpavillon Luzern, 28.11.2015: «I’ve seen the future, baby». Das Stück von Christoph Fellmann unter der Regie von Livio Andreina nimmt sich einem grossen Thema an: Die Zukunft. Das Theater Rostfrei ist und bleibt aktuell, gesellschaftskritisch und jung. Ein Abend über eine unsichere Zukunft, der auch mich verunsichert zurück liess.

Vorausschicken muss man, dass ich Apokalypsen nicht so mag. Weder Filme noch Bücher, die das Thema behandeln, und deswegen bin ich relativ jungfräulich, was diesen Gedanken anbelangt. Das ist doch alles so weit weg. Von heute, von der Realität. Als wir dann aber Einblick in eine Vierer-WG erhalten, welche ihr Leben zwischen Katzenvideos, mangelndem Reis und Selfies fristet, erkenne ich mich wieder. Die Abende, wo wir darüber sprechen, was alles schief geht. Wo wir unsere Köpfe, vollgepfropft mit Bildung, mit ein paar Bier entleeren. Wo wir gesprächstechnisch zwischen dem Dschihad und dem neuesten Fitneßcenter schwanken. Ja. Ich habe es erkannt. Und viel mehr können wir nicht tun, das hat das Theater Rostfrei ganz richtig erkannt. Wir können darüber sprechen, uns das Schlimmste ausmalen, und danach saufen gehen. Eine triste und doch sehr wahre Erkenntnis. Wir können wie die Zuschauer von einem Theater bewegungslos dasitzen. Oder? Das Stück von Christoph Fellmann ist geprägt von vielen Worten. Da die vielen Worte aber alle sehr präzise sind, grosse Stimmungsbilder auferstehen und zwischendurch einen Witz herausbrechen lassen, ist es ein wahrlich wortgewaltiges Stück. Kombiniert mit der Spielweise der jungen Darsteller, die das Gespräch zwar beleben, aber nicht vom Sprechen in das Agieren gehen, braucht es viel Konzentration. Ich schweife ab und komme wieder zurück.

Foto: Sep de Vries

Und auch hier: Obwohl wenig getan wird, wenig erlebt wird, passiert doch Einiges. Die Inszenierung lebt von einer Detailverliebtheit, einem verspielten Umgang mit Möglichkeiten. Zwei Playmobil-Männchen in einem Aquarium werden von einer kleinen Kamera gefilmt, das Bild wird projiziert, wir erleben den Katastrophenfilm mit Playmobil und betrachten gleichzeitig die beiden Mädels, die das Ganze inszenieren. Ein Bild vom Bild im Bild oder so. Es ist beeindruckend, was so alles möglich wurde. Viele technische Spielereien wurden eingebunden, ohne dass sie störend wirkten. Der Gesang, mithilfe von Loops und elektronischer Unterstützung, wurde so berührend, so nahe. Man wird immer wieder von der Realität in die erdachte Zukunft, in geträumte Geschichten in gefilmte Storys und wieder zurück begleitet. Anna Maria Glaudemans hat die Kostüme mit ihrem charakteristischen Feingefühl ausgewählt. Farblich ergeben sie zum Bühnenbild ein Stimmungsbild, welches wunderbar zu einer apokalyptischen Welt passt: Grau, grün, braun, die Farben schwanken zwischen Naturnähe und Trümmerlandschaften. Auch das Bühnenbild, es ist wie die Glaskugel der Wahrsagerin. Zu Beginn ein grosser Kasten auf der Bühne, bemalt wie angerostetes Blech, und er lässt sich auseinanderschieben, so dass der Blick auf das Wohnzimmer der WG frei wird. Die Wände werden manchmal zu Projektionsflächen, vorne Sessel, Tisch und die Schauspieler. Der enorme Raum des Pavillons begrenzt auf das Leben der vier Menschen, welche sich über die Zukunft Gedanken machen. Aus den Ritzen der Wänden schleichen sich ein paar Pflanzen. Auch hier: Die Natur versus Der Mensch versus das Unnatürliche. Die Wände sehen aus wie Beton. In dieser stimmigen Welt erbringen die Schauspieler eine tolle Leistung: Sie reden, sie reden viel, sie handeln wenig und halten doch die Spannung. Am Ende des Stückes gehe ich raus, und frage mich ein wenig, ob ich etwas verpasst habe. Ob mir der postapokalyptische Zugang fehlt, oder ich die Augen vor dem Möglichen verschliesse. Der Gedanke an die Zukunft lässt viele Fragen offen, genau so macht es auch dieses Stück. Denn: Es wurde viel gesagt, viel gezeigt, viel gespielt, und doch bin ich mit wenig nach Hause gegangen. Vielleicht, weil ich eben nur ein bewegungsloser Zuschauer bin.

Weitere Aufführungen: 28.11, 29.11, 08.12, 09.12, 11.12, 12.12.2015