Zwischen Rachen und Anus

UG des Luzerner Theaters, 05.03.2015: «Die lächerliche Finsternis» von Wolfram Lotz ist das deutsche Gegenwartsstück der Stunde. Die Schweizer Erstaufführung im Luzerner Theater weiss zu überzeugen und erntet einen langen Applaus.

(Fotos: Ingo Höhn)

Willkommen am Fluss Hindukusch, im von Urwald bedeckten Afghanistan, auf einer Reise zu dir selber. Nach der heiklen Passage des Anus geht es die Gedärme hoch, immer weiter, absurd lang weiter – so lange, bis die Finsternis nur noch lächerlich sein wird. Willkommen im Oval des UG’s, willkommen in Wolfram Lotz’ Adaption von «Herz der Finsternis» und «Apocalypse Now», die ein ironisch zugespitztes Panorama der politischen Krisen und Konflikte der letzten Jahre eröffnet. Eine Geschichte ist das nur bedingt, vielmehr sind es subjektive Monologe der auf sich zurückgeworfenen Figuren, die zusammengehalten werden durch den geheimen Auftrag, den irre gewordenen Oberstleutnant Karl Deutinger in die Luft zu jagen. Gefasst hat diesen Auftrag der deutsche Soldat Oliver Pellner (Samuel Zumbühl), der zusammen mit Stefan Dorsch (Wiebke Kayser), dem Fahrer des Schiffes, immer weiter in die barbarische Wildnis dringt. Vorbei am italienischen Offizier (Patrick Slanzi), der lieber von seinen Drogenerfahrungen als Kleinkind erzählt als vom Krieg, vorbei auch am serbischen Händler Bojan Stojkovic (Clemens Maria Riegler), dessen Geschichte vom Verlust seiner Familie durch das Nato-Bombardement unglaublich nahe geht, als Verkaufsargument aber unmöglich wirkt. Vorbei auch am Liebe predigenden Reverend Carter (Jörg Dathe), der seinen Ureinwohnern christliche Zivilisation gebracht hat und sich an der nackten Haut der jungen Wilden ergötzt, die zuvor, man glaubt es kaum, verdeckt wurde: «Schauen sie sich diese Beine an!» Am Schluss ist Karl Deutinger gefunden und die Reise auf dem Fluss kreuzt sich mit der eröffnenden Rahmenhandlung, in der ein diplomierter Pirat aus Somalia (Dagmar Bock) eine Verteidigungsrede vor dem Hamburger Gericht hält.

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Andreas Herrmann als Regisseur und die Schauspieler des Luzerner Ensembles haben die Vorlage von Wolfram Lotz mit einer eindrücklichen Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Lächerlichkeit umgesetzt. Herausgekommen ist dabei ein Abend, der vor Dichte nur so strotzt und alle Facetten des Lebens abzubilden vermag: von Himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Ein Abend auch, in dem das herzhafte Lachen immer wieder im Halse stecken bleibt. Der Fluss Hindukusch (oder ist es doch ein Gebirge? Warst du schon mal dort? Woher willst du es dann wissen?) wird so zum Fluss der absurden Existenz in der globalisierten Welt, in der sich der Einzelne nur noch mit sich selber zu beschäftigen vermag und der Fluss des Lebens irgendwo zwischen Anus und Rachen zirkulär dahinfliesst. Sinnbildlicherweise hat Lotz, gespielt von Elia Brülhart, sich auch selber in das Stück hineingeschrieben: «Wieder vom Schreiben gedrückt», sagt er da und schnitzt mit seinem Vater beim gemeinsamen Kochen aus dem Gemüse Pimmel, Auto und Lokomotive – nur um dann selber wieder von der Geschichte eingeholt zu werden. Das treibt den radikalen Egozentrismus auf die Spitze, der dieses Stück so unangenehm nachwirken lässt, weil sich jeder Zuschauer irgendwo darin wiederfindet. Als Herzstück bleibt das mutig-lange Liebesclubsong-Medley in Erinnerung, zu dem die Protagonisten feiern, als gäbe es kein Morgen. Nur im Exzess scheint für kurze Zeit ein Zusammen möglich; bis der Abend kippt und die Einsamkeit umso trauriger Überhand gewinnt. Eine Einsamkeit, die sich erst durch den kontrastierenden Wunsch nach Liebe ergibt. Ein Wunsch, der sich als Motiv durch das ganze Stück hindurch zieht und von dem alle Protagonisten in irgend einer Art und Weise getrieben werden. Durch die ständige Beschäftigung mit sich selber ist aber schon die Kommunikation mit den Mitmenschen unwahrscheinlich – die Liebe gar unmöglich und die abwesende Liebe Motiv; zum Beispiel in den Krieg zu ziehen.

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Im Wasser des Flusses Hindukusch spiegelt sich unser Leben auf eine unangenehme Art und Weise wider. Lotz’ Protagonisten schüttelt es auf ihm durch wie auf einer Achterbahnfahrt in Endlosschleife. Der Fluss bietet gleichzeitig aber auch die erweckende Metapher, denn dem Zuschauer geht es am Ende ähnlich wie Hesses Siddharta, als er zurück zum Fluss kehrt: «Liebe dies Wasser! Bleibe bei ihm! Lerne von ihm! O ja, er wollte von ihm lernen, er wollte ihm zuhören. Wer dies Wasser und seine Geheimnisse verstünde, so schien ihm, der würde auch viel anderes verstehen, viele Geheimnisse, alle Geheimnisse.» Das Publikum wollte bleiben, applaudierte endlos lange und wusste, dass es eben einer Inszenierung beiwohnte, bei der alles zusammengepasst hat.

Die lächerliche Finsternis, noch bis SA 11. April, UG des Luzerner Theaters.