«Was wäre wenn...?»

Südpol, 25.03.2014: Ivna Žic, Katja Brunner, Marie Ulbricht und Amadea Schütz rekapitulieren mit ihrem ersten gemeinsamen Projekt «Ich habe nicht am Anfang begonnen, sondern in der Mitte» Leerstellen ihrer eigenen Geschichte und lassen dabei Momente der Ungewissheit offen.

«Was wäre, wenn mein Grossvater sich 1944 mittags im gleichen Haus wie seine Mutter aufgehalten hätte?» «Was wäre, wenn ich diesen einen Liebesbrief abgeschickt hätte?» «Was wäre, wenn ich ein Junge geworden wäre?» Vielleicht wäre das eigene Leben dann ganz anders verlaufen, hätte eine andere Bahn eingeschlagen, andere Möglichkeiten ergeben, Chancen getilgt und verebbt. Mit diesen und weiteren eingangs gestellten Fragen wird über das Publikum ein Schleier der Vergangenheit gelegt. Israelische Klänge und Stimmengewirr verstärken den Drang, der Gegenwart zu entsagen und zu den Wurzeln der Herkunft geführt zu werden. Nicht nur zu denen der drei Hauptdarstellerinnen, ihrer Grosseltern und Eltern, sondern auch zu seinen eigenen. Das Projekt «Ich habe nicht am Anfang begonnen, sondern in der Mitte» präsentiert sich als Theaterformat offener Fragen, bei denen nur ein Bruchteil mit Gewissheit beantwortet werden kann. Indem die Darstellerinnen sich nach ihrer eigenen Vergangenheit sowie derer ihrer Grosseltern und Eltern erkundigen, wird die Relevanz des Fragenstellens deutlich. Das Publikum wartet zu Beginn noch auf Antworten. Während der Aufführung zeigt sich jedoch, dass es nicht um das Sicherstellen von Ereignissen geht, sondern um die Fortschreibung der eigenen Geschichte und Befindlichkeit. Offenbarungen, faszinierende Entdeckungen und Gemeinsamkeiten fliessen so in die theatrale Darstellungsform ein, die für einmal alles andere als gewöhnlich erscheint. Besonders geglückt ist die Raumanordnung, in welcher die Inszenierung stattfindet. Das Publikum sitzt nicht, wie gewohnt, hintereinander, sondern sich gegenüber, wobei in der Mitte die eigentliche Vorstellung stattfindet. Lebhaft ist auch der Kontrast der unterschiedlichen Aufführungsmittel, die in das dramaturgische Spiel mit einfliessen. Neben Kleidungsstücken der Grossmutter, die zu Spieluhrklängen ausgebreitet werden, wird in der Dunkelheit der Tanz der Mutter, nach Arbeitsschluss, nachgeahmt. Gepaart mit wechselnden Diaprojektionen alter Familienfotos, die sich vor, hinter und neben dem Publikum abspielen, entsteht so ein Raum unantastbarer Anachronie.

Gerade dadurch, dass die Ereignisse nicht in der Reihenfolge erzählt werden, erhält die Aufführung an eigendynamischen Charakter. Obgleich eine gewisse philosophische Naivität der Aufführung mitschwingt, impliziert der Name des Projekts treffend, das die individuelle Geschichte eben nicht mit der Geburt in der Mitte, sondern am Anfang beginnt, der sich oft im Unendlichen verliert und die Herkunft verschleiert. Der offensive Einbezug des Publikums: «Glauben Sie, dass ich Kinder haben sollte? Würden Sie mich bitte schwängern?» verstärkt die Andersartigkeit der Darstellungsform geradezu. Eine Vielschichtigkeit der raumzeitlichen Struktur entsteht dadurch, dass die Hauptdarstellerinnen aus unterschiedlichen Theater- und Performancebereichen stammen. Reizvoll wird die Inszenierung aber gerade dann, wenn tiefer gesucht wird. Die Geschichte nicht als Erforschung der Wirklichkeit, sondern als deren Ursprung aufgefasst wird.

Das Projekt von Ivna Žic, Katja Brunner, Marie Ulbricht und Amadea Schütz «Ich habe nicht am Anfang begonnen, sondern in der Mitte» ist noch am 31.03. sowie 01.04.2014 im Roxy in Biersfelden