Stellen Sie sofort den Computer ab und umarmen Sie ein Kind!!!!

Das Luzerner Theater zeigt im UG drei Kurzstücke von Neil LaBute. Und das Publikum dürfte sogar mitmachen im «grossen Krieg». Tut es aber nicht und trinkt lieber ein Bier.

(Bilder: Ingo Höhn/zvg)

Eine Frau, und ein Mann. Dreimal. Drei Kurzstücke von Neil LaBute in 90 Minuten, ausgewählt von Andreas Herrmann (Regie) und Larissa Bizer (Dramaturgie), vage verknüpft durch grob gehäckselten Mainstreampop (Musik: Martin Baumgartner). Die drei Stücke sind nicht viel mehr als Fingerübungen des 48-jährigen Theater- und Filmautoren aus Detroit. Vorsätzlich an der Oberfläche verweilende, stellenweise natürlich brillante Dialogetüden über die Paarprobleme, in die sich Frau und Mann nun mal verstricken, und die sich in messerscharfen Sentenzen und erlesener Gemeinheit äussern. Auch darum, weil die Figuren von LaBute wissen, dass sie vor einem Publikum stehen, und sich entsprechend Mühe geben, schlagfertig rüberzukommen und so den «grossen Krieg» für sich zu entscheiden. Diese kurzen Stücke, sie spielen in der gar nicht mal so kleinen Schnittmenge aus Geschlechterkrieg und Castingshow.

Aber das klingt jetzt vielleicht interessanter, als es ist. Der Abend ist toll gespielt (Juliane Lang, Hajo Tuschy), auch sonst ordeli gemacht und verweist zudem wie es sich gehört aufs grosse Ganze: Auf der Bühne (Kathrin Schulze) ragen regelrechte Triple Towers, so dass man früh ahnt, dass in den drei nun folgenden Stücken mit dem Traum von der Liebe gleich auch der Traum von Amerika zum Einsturz kommen wird. Die Idee verdankt sich vermutlich dem zweiten Stück des Abends. In «Land der Toten» hinterlässt der Mann der Frau am 11. September 2001 eine letzte Nachricht auf der Combox, bevor er seinen Arbeitstag im World Trade Center beginnt: «Hey, ich bins (...) Also, wenn du willst, können wirs auch durchziehen und das Ding behalten. Liegt ganz bei dir. (...) Liebe dich.» Die Frau verlässt gerade die Abtreibungsklinik, als sie die Nachricht hört, und bei ihrem Mann schlägt ein Flugzeug ein. Neil LaBute hat mit «Tag der Gnade» das womöglich beste und brutalste Theaterstück über 9/11 geschrieben: Es erzählt von einem Mann, der zum Zeitpunkt des Anschlags nicht an seinem Arbeitsplatz im World Trade Center war, sondern bei seiner Geliebten. Im abendfüllenden Stück unterhalten sich die beiden nun, ob sie die Chance packen und ein neues Leben beginnen sollen, oder ob sie die Familie des Mannes darüber informieren müssen, dass er noch lebt (und warum). In «Tag der Gnade» wendete LaBute den 11. September 2001 in ein privates Dilemma. Hier nun, in «Land der Toten» packt er zwei Dramen aufeinander – und produziert so Kitsch. Nicht besser ist zu Beginn des Abends auch «Ich mag dich wirklich». Hajo Tuschy gibt als Serienmörder dem Publikum die Gelegenheit, das Opfer zu warnen. Nice Try. Das ist Metatheater vom Reissbrett, uninteressant und wirkungslos, nachgerade auch in dieser Spielanordnung mit brav vor der Bühne aufgereihten Zuschauern. «Der grosse Krieg», das letzte und längste Stück dieser Schweizer Erstaufführung, steigert die Intensität dann entschieden. Frau und Mann setzen hier in knapp vierzig Minuten zum Scheidungskrieg an, in dem es vor allem darum geht (wie man allmählich erfährt), dass weder sie noch er die Kinder will. Eine zwingende Idee und eine grossartige Ausgangslage für ein Stück, das beginnen könnte, wo dieses hier endet (es gibt dieses Stück übrigens, es heisst «Top Kids» und stammt von der Schweizerin Marianne Freidig). «Der grosse Krieg» aber bleibt eine Momentaufnahme: Es zeigt den Tag, da sich der Mann und die Frau drei Monate nach der Trennung wiedersehen, um «die Beute zu teilen» – das Besteck, das Boot, die Bälger. Viel mehr ist da nicht, der Atem bleibt auch in diesem dritten und letzten Minidrama des Abends kurz. Aber in seiner schöner Schärfe zeigt der Dialog, zu welcher Boshaftigkeit die Menschen in einer psychohygienisch heiklen Situation nicht nur fähig sind, sondern willens. Und so überzeugt hier auch der schnelle Wechsel zwischen Pathos und Pointe, der die Texte von LaBute gern etwas unentschlossen und ranschmeisserisch wirken lässt. Wenigstens bis kurz vor Schluss. Da packt LaBute nochmals die grobe Theaterkeule aus, und folgerichtig lässt der Regisseur die Szene artig schreien (das soll einem ja jetzt nahe gehen): Die Frau fordert das Publikum auf, «jetzt sofort» nach Hause zu gehen und die Kinder zu umarmen. Der Schreibende hat keine Kinder und darum an der Bar noch ein Bier getrunken.

«Der grosse Krieg»: Bis 19. November, UG Luzerner Theater