Die Frau bleibt die Bedrohung

Luzerner Theater, 07.09.2019: Die alte Dame ist zu Besuch. Das Luzerner Theater startet mit Dürrenmatts Klassiker in die neue Spielzeit. Das Ensemble rund um Stargast Delia Mayer zeigt sich nach der Sommerpause in Form – die Inszenierung lässt aber Mut vermissen.

Fotos: Ingo Höhn

Am Samstag war es endlich soweit: Nach bangem Warten, angekündigt im Spielzeitheft des Luzerner Theaters, erreicht die Limousine von Claire Zachanassian pünktlich zum Auftakt der neuen Spielzeit den Theaterplatz Luzern.

In seiner Rede auf dem Vorplatz des Theaters lässt Benedikt von Peter mit einem Lächeln verlauten: Ob die alte Dame in Luzern viel Geld investiere, komme auf die Herzlichkeit des Empfangs an. Der Theaterplatz jubelt. Mit schwenkenden Fahnen und Applaus wird die Anfangsszene der Dürrenmatt’schen Komödie direkt in unsere gesellschaftliche Mitte projiziert. Luzern wird zu Güllen, die Feiernden Luzerner*innen zu vorfreudigen Güllener*innen. Ein ironisches Schelmenstück des Intendanten. Luzern hat’s nicht bemerkt.

Ensemble ist in Form

Dass in diesem Jahr «Der Besuch der alten Dame» aufgeführt wird, überrascht kaum. Intendant von Peter liebt die bekannten Namen, im letzten Jahr wurden Max Frisch und Dostojewski gespielt, davor Gotthelf und Shakespeare. Der Erfolg gibt ihm recht.

Delia Meyer als alte Dame

Für das Stück, welches Dürrenmatt in den 50er-Jahren zu Welterfolg verhalf, wurde Delia Mayer gecastet. Mayer ist ein veritabler Coup für das LT. Zwar spaltet die Zürcherin spätestens seit ihren Tatort-Auftritten die Meinungen beim Publikum, auf der Bühne des Luzerner Theaters überzeugt sie jedoch von Beginn weg. Ausdrucksstark, einnehmend und mit viel Ausstrahlung verkörpert sie die alte, rachsüchtige Claire Zachanassian. Im ersten Teil zurückhaltend, im zweiten Teil lockerer.

Neben Mayer spielt Fritz Fenne die Rolle des Alfred Ill. Es ist eine der stärksten Darstellungen am Luzerner Theater in vergangener Zeit. Die zunehmende Verzweiflung, die Handlungsunfähigkeit, bis Geist und Körper resignieren. Ebenfalls stark spielen Christian Baus, der den Bürgermeister verkörpert, und Lukas Darnstädt als Pfarrer. Nach der Sommerpause kann man sagen: Das Ensemble ist in Form.

Fritz Fenne als Alfred Ill

Wermutstropfen im Spiel sind einzig die geschrienen Partien. Das Stück startet mit einer gebrüllten Rede des Lehrers durch das Megaphon. Man merke: Lautstärke ist nicht gleich Ausdruck – was nicht nur für das neuste Luzerner Stück gilt.

Gelungener Bezug ins Jetzt

Die Geschichte der alten Dame beginnt mit dem Wegtragen der Leiche von Alfred Ill. Szene für Szene arbeitet das Stück rückwärts, das Ende zeigt die Ankunft der reichen Dame. Das Ganze vor einem beeindruckenden Bühnenbild, eine Art Treibhaus, in dem der unmoralische Vorschlag der Claire Zachanassian auf einen idealen Nährboden trifft und langsam aber unaufhaltsam gedeiht.

Bühnenbild Der Besuch der alten Dame

Die griechischen Regisseure Angeliki Papoulia und Christos Passalis verorten – wie bereits Benedikt von Peter während der Feier – den Ort Güllen in Luzern. Dies tun sie primär über eingespielte Videos von «Güllenern», die an verschiedenen Luzerner Standorten ihre Erinnerungen an den Aufenthalt der alten Dame erzählen. Am Ende der Inszenierung regnen kleine Zettel in den Publikumssaal. Darauf steht: «Ihr seid nicht mehr sicher. Nun bin ich da!»

So bricht Güllen im realen Luzern ein, die Zuschauenden werden zur Allerweltsgemeinde, plötzlich müssen wir uns selbst der Frage stellen: Könnten wir diesem Angebot widerstehen? Wie weit sind wir bereit zu gehen für Geld?

Eine verpasste Chance

Doch leider ist gerade die Inszenierung auch eine verpasste Chance. Man wolle nicht über das Geld sprechen, dafür die alte Dame ins Zentrum der Inszenierung stellen, sie menschlicher darstellen, was in Dürrenmatts Text nicht geschieht. So zumindest wird dem Publikum in der Einführung zum Stück verkündet. Dieses Versprechen löst die Inszenierung nicht ein. Claire Zachanassian bleibt kühl, distanziert, hartherzig, die Kapitalismuskritik bleibt zentral.

Der Besuch der alten Dame

Konsequent wäre hingegen eine feministische Lesart: Ein Mann und eine Frau gehen eine Liebschaft ein, sie wird schwanger. Er verstösst sie, sie muss den Ort verlassen, verliert das Kind, wird in die Prostitution getrieben. Er bleibt, wohl behütet, heiratet in eine reiche Familie, wird zum respektablen Bürger. Die patriarchalische Gesellschaft und das Rechtssystem schützen den Mann und berauben Claire Zanachassian ihrer Rechte. Was bleibt, sind Rachegelüste.

Die Inszenierung bleibt zu nahe bei Dürrenmatt, ist zu männerlastig, im Zentrum steht Alfred Ill, dem unser Mitleid zukommen soll. Zachanassian bleibt als Figur unnahbar, die neu ins Stück eingeführte Journalistin hat dokumentarische Funktion, spricht aber wenig. Ills Frau taucht gar nicht erst auf der Bühne auf, die Polizistin ist eine Randfigur. Das griechische Regieduo, das nach «Alkestis!» zum zweiten Mal in Luzern inszeniert, zeigt zu viel Ehrfurcht vor dem Klassiker.

Das Problem mit der Kamera

Und schliesslich ist da die Funk-Kamera. Ein zentrales Mittel der Inszenierung ist die Liveübertragung des Bühnengeschehens auf das Bühnenbild, das als grosse Projektionsfläche dient. Ein spannender technischer Kniff, wäre da nicht die Dostojewski-Inszenierung vor gerade einmal einem halben Jahr, in der die Funk-Kamera ebenfalls zum Einsatz kam. So wirkt das Stilmittel nicht eben einfallsreich.

Insgesamt ist «Der Besuch der alten Dame» durchaus sehenswert. Kurzweilig in knapp zwei Stunden mit Pause wird das Publikum rückwärts durch den «Mordfall Güllen» geführt. Die hohen Erwartungen an die Inszenierung des Evergreens erfüllen die Regisseure aber nur teilweise.

Der Besuch der alten Dame
Bis SA 11. Januar 2019
Luzerner Theater

Inszenierung: Angeliki Papoulia, Christos Passalis; Bühne: Christos Passalis; Mitarbeit Bühne: Simon Sramek; Kostüme: Vassilia Rozana; Licht: David Hedinger-Wohnlich; Dramaturgie: Irina Müller

Spiel: Delia Mayer, Christian Baus, Lukas Darnstädt, Fritz Fenne, Wiebke Kayser, Nina Langensand, Antonia Meier, Julian-Nico Tzschentke und Luzerner Vereine

Sie haben die Premiere verpasst? Abonnieren Sie 041 – Das Kulturmagazin und bleiben Sie auf dem Laufenden über das kulturelle Geschehen in der Zentralschweiz!