«Also, was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das grösste Kunstwerk, das es je gegeben hat» – K.H. Stockhausen im Südpol

Die wenigsten wären in diesen Zeiten (oder überhaupt) bereit, eine zweitägige Retrospektive von Karlheinz Stockhausen zu veranstalten. Zu sperrig scheinen seine Werke. Auratisch zwar, doch das breite Publikum empfindet sie schlicht als dissonanten Lärm. Für mich ist er, was Ludwig van für Alex war. Ein vom Genius besessener, der den Soundtrack für ein Lebensgefühl liefert.

Er definierte neu, was Musik sein kann. In seinen atonalen Stücken, die in genialen, mathematischen Systemen navigieren, zerschmettert er die kommune Algebra des Hörens und errichtet an ihrer Stelle ein radikales Multiversum aus Klangwelten. Stockhausen wurde auf Sirius geboren und in den Künsten des Klangs unterwiesen, bevor er als Botschafter dieses Sterns die Erde besuchte. In einem Interview, das Robert Baumann für das Magazin «foglio» mit ihm führte, beschrieb er die Akademie auf Sirius folgendermassen: «Alle Schwingungen, die überhaupt existieren und die uns manchmal als Materie vorkommen, werden studiert und in Verbindung miteinander gebracht. (...) Was ich dort gelernt habe, ist zum wesentlichen Teil, schwingende Luft auf diesem Planeten - es könnten auch schwingender Äther oder schwingende Lichtwellen sein- Musik ist. Dass ist die Essenz des Alls: geordnete, geformte Schwingungen.» Die Hochschule Luzern hatte den Mumm. Sie zeigte unter der künstlerischen Leitung von Marco Blaauw eine Umfassende Stockhausen-Retrospektive, mit einem fantastisch zusammengestellten Programmheft, das die originalen Programmtexte des Komponisten persönlich enthielt. Erik Borgir und Michel Rot leiteten das Projekt, um die Klangregie war Paul Jeukendrup besorgt. Es spielten Studierende des Masterstudiengangs Contemporary Art Performance. Die Werkauswahl war umfassend. Von den Anfängen über den Tierkreis, die Klavierstücke, bis zu Sequenzen aus seinem Monumentalwerk Licht (1977-2003). Der Film des Helikopter-Streichquartetts (auch Teil des Licht-Zyklus), das von einem Streichquartett in vier verschiedenen Helikoptern gespielt wird, komplettierte die Retrospektive. Mein Favorit war der «Gesang der Jünglinge» (1955/56 !!!!), das ganz und gar elektronische Musik war. Und diese Akustik im Südpol! Grandios! Eine Frage kniff mich jedoch ins Fleisch: Wenn man schon neue Hör-Räume öffnet, warum dann nicht mit komplett neuen Umständen zuhören? Warum diese blöden, unbequemen Stühle? Warum keine Fatboys, Liegen, oder Kissen, warum keine Visuals an der Decke oder fluoreszierende, mathematische Formeln an den Wänden? Warum nicht irgendwas total verrücktes? Es wäre angenehmer einzutauchen, in Stockhausens Kosmos.