Der Besuch der anonymen Spender

Stellungsnahme von Vertretern der Freien Tanz- und Theaterszene zur aktuellen Diskussion um die Salle Modulable.

Von Forum Freies Theater, Kleintheater und Südpol

Tanz und Theater sind im Gespräch

Man könnte sich eigentlich freuen: Tanz und Theater sind in Luzern im Gespräch wie seit langem nicht mehr. Ausgelöst hat die öffentliche und mediale Diskussion bekanntlich das Projekt Salle Modulable. In diesem wird der sogenannten Freien Tanz- und Theaterszene eine mögliche zukünftige Rolle zugedacht, zu der es einige Anmerkungen zumachen gibt. Der Stadtrat hat in seinem nach eigener Aussage visionären Bericht zum geplanten Grossprojekt der Salle Modulable vorgeschlagen, gegenüber dem heutigen Stand der kulturellen Grundversorgung einschneidende Massnahmen für die Sparten Tanz und Theater vorzunehmen. Konkret ist eine Fokussierung des Luzerner Theaters auf den Bereich Musiktheater und weniger konkret eine mögliche Auslagerung der Sparten Tanz und Theater in die Freie Szene angedacht. Im gleichen Zusammenhang wird angedeutet, dem Lucerne Festival einen neuen Leistungsauftrag zu geben, was faktisch sogar darauf hinauslaufen könnte, dass das Festival einen Teil der bisherigen Subventionen erhalten würde (1).  Die heftigen, weitgehend ablehnenden Reaktionen auf den Bericht des Stadtrates zeigen, dass entgegen oft gehörter Einschätzungen die Bereiche Tanz und Theater in Luzern eine emotionale Bedeutung haben, die eine genaue Analyse der bestehenden Situation erfordert. Im Sinne der den Bericht abschliessenden Worte von Stadtpräsident Urs W. Studer nehmen wir die Einladung zum kritischen Nachdenken über die unterbreiteten Vorschläge an, denn wir sehen die dringende Notwendigkeit, für einen konstruktiven Dialog auf einige substantielle Punkte aufmerksam zu machen.

Kultureller Reichtum

Im zunehmenden Wettbewerb der Städte um Standortvorteile und bei gleichzeitigem Zusammenwachsen derRegionen ist die Frage sinnvoll und berechtigt, welche kulturellen Dienstleistungen eine Stadt erbringen soll und kann. In diesem Zusammenhang ist es auch sinnvoll, über kulturelle Institutionen vorurteilslos nachzudenken. Eine mögliche Konzentration darf aber nicht dazu führen, dass das Kulturangebot einer Stadt reduziert wird auf einen einseitigen Gehalt an repräsentativer Hochkultur, der unter primär ökonomischen Erwägungen definiert wird. Dies zumindest deutet die im Bericht aufgeführte Argumentation an (2). Kultur braucht und gibt es aus kulturellen Gründen, das belegen in Luzern täglich Hunderte und Tausende von Besuchern verschiedenster Veranstaltungen. Im sozialen und politischen Interesse der Universitäts- und Hochschulstadt Luzern mit ihrem wachsenden Potential an jungenKreativen aller Sparten ist die Vielfalt der Kunstformen zentral für die zukünftige Attraktivität der Stadt und Region Luzern. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass zahlreiche in Luzern aufgewachsene und ausgebildete Kreative in Orte abwandern,die diese Vielfalt bieten. Luzern will mehr sein als Transitstation für kreatives Potential, entsprechend sollten die entsprechenden Rahmenbedingungen gestaltet werden.

Spartenübergreifende Kompetenz

Der vorliegende Bericht zur Salle Modulable wie auch Presseäusserungen der Projektverantwortlichen weisen zu Recht darauf hin, dass Spartenabgrenzungen immer schwieriger vorzunehmen sind. Kunstproduktion findet heutzutage zunehmend transdisziplinär statt. Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, auch für das Gelingen der visionären künstlerischen Pläne rund um die Salle Modulable und den geplanten Campus, dass Experten und Künstler unterschiedlichster Bereiche und Ästhetiken in Luzern ansässig sind und wirken. Projektleiter Jost Huwyler gibt das Ziel vor: «In der Salle Modulable wird das Theater neu erfunden.» (3) Import von künstlerischer Kompetenz ist aber nicht nur teuer, sondern birgt auch die Gefahr der Nichtidentifikation mit einer Region.

Komplexe Modellentwicklung für Tanz und Theater

Der Stadtrat erwägt, den Grundversorgungsauftrag für Tanz und Theater an die Freie Tanz- und Theaterszene abzugeben, während sich das Luzerner Theater auf Musiktheater fokussieren soll. Die angedeutete mehrschichtige Umverteilung des theatralen Grundversorgungsauftrags ist auf sehr unkonkrete Weise formuliert, berührt jedoch eine hochkomplexe Angelegenheit. Der Begriff der Freien Szene hat sich in den letzten 20 Jahren stark entwickelt. Es bedarf einer dringenden Klärung der Frage, was mit Freier Szene gemeint ist, in ästhetischer, struktureller und personeller Hinsicht. Etwas aber ist klar: Die Freie Szene, von der wir sprechen, ist nicht Amateurtheater, sondern professionelles Theater nicht institutioneller Gruppen. Die Freie Szene ist eine Erfolgsgeschichte. Es ist hinlänglich bekannt, dass eine Mehrheit der wichtigen Tanz- und Theaterneuerer der letzten Jahrzehnte aus der freien Szene kommen: mit Christoph Marthaler sei nur eine der grossen Figuren erwähnt, die sowohl im Sprech- wie im Musiktheater Sternstunden der jüngeren Theatergeschichte geschaffen hat. Fast alle der wichtigen Tanz- und Theaterschaffenden der letzten 20 Jahre haben sowohl frei als auch in Institutionen produziert; die Grenzen zwischen Stadttheatern und Freien Häusern haben sich demzufolge laufend verschoben und weitgehend aufgelöst. Eines aber brauchen die Tanz- und Theaterschaffenden hier wie dort: Kontinuität in den Arbeitsprozessen, Infrastruktur und gesicherte Mittel. Diskussionen über neuartige Tanz- und Theatermodelle werden vielerorts geführt (z.B. in Bern), und in Holland oder Belgien sind höchst erfolgreich alternative Modelle umgesetzt worden. Was all diese Modelle verbindet: Sie kosten Geld. Auf finanzieller Ebene ist jedoch bisher nicht seriös untersucht worden, wie viel Aufwand zu wie viel Ertrag führen würde; die ins Spiel gebrachte Summe von 1-1,5 Millionen scheint aus der Luft gegriffen und entbehrt jeglicher Erfahrungsgrundlage. Überdies würde die Bereitstellung der Summe von maximal Fr. 1,5 Mio für die «Freie Szene» faktisch für den Tanz- und Theaterraum Luzern einen massiven Subventionsabbau bedeuten, bedenkt man, dass aktuell nur schon für Tanz und Theater am Luzerner Theater ungefähr das Doppelte ausgegeben wird. Die in der Stadt und Region Luzern wirkenden freien Tanz- und Theaterschaffenden (Künstler, Veranstalter und Interessensverbände) sind bisher kaumin die Entwicklung und Planung der Salle Modulable einbezogen worden. Sollten sie aber tatsächlich als zukünftigeGrundversorger der Region gemeint sein, wäre es dringend erforderlich, diese in die Diskussionen ab sofort einzubeziehen. In diesem Sinne und im Interesse einer starken und hochqualitativen Tanz und Theaterregion Luzern erwarten wir, dass die Frage nach dem Zukunftsmodell der theatralen Grundversorgung ausführlich, sachkundig und unter Einbezug der möglichen Verantwortlichen geführt wird. Ebenso intensiv, wie über das Musiktheater der Zukunft diskutiert werden soll, muss über Tanz und Theater nachgedacht werden. Das Theater kann nicht neu erfunden werden, aber es kann und muss sich ständig weiterentwickeln. Tanz und Theater sind Kunstformen, die sich aus dem sozialen und kulturellen Alltag der Gesellschaft nähren. Wir stehen für die konstruktive Diskussion und Modellentwicklung zur Verfügung.

 

Forum Freies Theater

Kleintheater

Südpol

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(1) «Zu klären ist noch, ob auch Lucerne Festival einen Leistungsauftrag erhält, wenn sie die Produktion von Programmteilen im Musiktheater übernehmen, die im öffentlichen Interesse liegen und damit einen Grundversorgungscharakter haben.» (Urs W. Studer, Vision mit Bodenhaftung)

(2) «Angesichts dieser Berechnungen favorisiert der Stadtrat deshalb das Betriebsszenario mit dem kleinsten Finanzierungsdefizit.» (dito)

(3) Quelle:Neue Luzerner Zeitung vom 06.11.2009