Von Monstern und Menschen

Luzerner Theater, 30.08.2014; Das Luzerner Theater lädt zur Eröffnung der neuen Spielzeit in einen «Salon der Schauergeschichten» im UG. Obwohl die von Johanna Wehner inszenierte Frankenstein-Version eher zu einer Bad-Taste-Party verkommt, erntet das Stück langanhaltenden Applaus.

(Fotos: Ingo Höhn)

«Wie sieht wohl die Bühne aus?», ist jeweils die erste Frage, die mir durch den Kopf geht, wenn ich die Treppe ins UG hinuntergehe. Kaum eine Inszenierung, die gleich bestuhlt ist. Auch in der neuen Spielzeit betritt der Zuschauer Neuland. Er sitzt im Oval um die mit goldigen Stäben abgetrennte Bühne (Viola Valsesia), die einer Arena gleicht. Die Arena, das wird bald klar, ist das Labor des wirren Professors Viktor Frankenstein, gespielt von Clemens Maria Riegler. Viktor, ganz das Muttersöhnchen, arbeitet in einer miserabel sitzenden, kurzen Jeanshose, einem farbigen Kurzarmhemd mit pinken Kindermotiven und in ebenfalls pinken Crogs (Kostüme Cedric Kraus) an einer neuen Menschengattung, dem Posthumanisten. Das Frankensteinsche Drama nimmt seinen Lauf, das Monster wird zum Leben erweckt, von seinem Schöpfer Viktor für hässlich empfunden und ausgesetzt. Das gutmütige, unsozialisierte Monster stösst als das Andere auf Ablehnung, wohin es auch kommt – und beginnt schlussendlich mordend um Aufmerksamkeit zu heischen.

Johanna Wehner hält sich bei der Schweizer Erstaufführung von «Schmutzige Schöpfung» weitgehend an die von Thomas Melle gelieferte Vorlage, lässt einzig den etwas wirren Handlungsstrang der Filmproduktion weg. Melles Vorlage parodiert den modernen Menschen in seinem Streben nach perfekter Unvergänglichkeit bitterböse. Und so werden in der Arena die Grenzen des Menschen ausgehandelt. Wann ist es legitim, in die Schöpfung einzugreifen? Für Viktors Mutter (Bettina Riebesel) gibt es, was ihren Körper angeht, keine Grenzen. Ihr Leben: ein vom Chirurgen orchestriertes Sägen, Saugen und Schwitzen. Ganz gelassen ist hingegen Viktors einziger Freund Henry (Samuel Zumbühl), der nicht glaubt, dass man das Leben verändern kann und sich auf Viktors Frage, was er sich anders wünsche, zuerst keine Antwort weiss, sie aber später doch noch nachliefert: «Eigentlich hätte ich nur gern andere Freunde». Viktor und Henry gleichen so den ungleichen Werther und Albert aus Goethes «Die Leiden des jungen Werthers». Mit dem Leidenschaftlichen und dem Gelassenen treffen zwei Lebensarten aufeinander, die sich nicht vereinen lassen. Im Mittelpunkt des Abends steht damit die Diskussion über das Andere. Ob als Wunsch an seinem Körper oder seinem Leben und schlussendlich auch im Umgang mit dem Anderen, dem Fremden. Auf der Bühne gelingt der Umgang mit dem Anderen niemandem. Auch Betty nicht, der Freundin von Viktor (Dagmar Bock), die als Charakter sehr blass bleibt, aber aufzeigt, dass in der Arena der Selbstfindung die Empathie für den Anderen in die Ferne rückt.

Dass die Position des Anderen zudem immer eine willkürliche ist, zeigt Wehner mit einem Kniff: Das Monster, gespielt von Jörg Dathe, ist auf der Bühne nämlich viel eher das Antimonster, dass sich in etwa so fühlen muss, wie wenn es in normalen Klamotten auf einer Bad-Taste-Party auftaucht und zu allem Übel keinen einzigen der absurd schlechten Songs kennt, die alle rundherum vor Schweiss triefend mitgrölen. Damit wird dem Stück leider etwas zu viel Ernsthaftigkeit genommen. Dass das Publikum am Schluss doch frenetisch applaudiert, liegt zum einen daran, dass die Schauspieler, insbesondere Jörg Dathe als Monster und Clemens Maria Riegler als Viktor, in ihren Rollen richtig aufgehen. Zum anderen werden die Lachmuskeln der Zuschauer dank den komischen Einlagen, den jeglichen Geschmack vermissenden Kostümen und dem giftigen Sprachwitz immer wieder gebauchpinselt. Und trotz aller Komik im Stück werde ich die eine Frage nicht los, als ich wieder auf die Winkelriedstrasse trete: Wer ist hier Mensch und wer Monster?

Das Stück ist noch am 4., 7., 11., 12., 20., 26., 27. September und am 23., 24. und 26. Oktober im UG des Luzerner Theaters zu sehen. Weitere Infos