Unorte schaffen Erinnerung

St. Karlistrasse, Luzern, 10.08.2019: Schon zum dritten Mal wird das Sommerloch vom Kraut Kunstfestival mit temporären künstlerischen Interventionen gefüllt. Kraut #5 fand an der Reuss statt, wo sich Flussrauschen mit Gläserklimpern und Installation mit Zeichnungen vermischt haben.

Ein kleiner Kiesplatz auf der rechten Reussseite. Mit seinen Bäumen und Sitzmöglichkeiten ist er den meisten wohl noch nie wirklich aufgefallen. Die Architektin Alice Busani und die Kunstschaffenden Esther Leupi, Paul Lipp und Reto Leuthold haben ihn auf einer ihrer Entdeckungsvelotouren gefunden. Die vier Kulturschaffenden laden dieses Jahr schon zum dritten Mal im Rahmen des Kraut Kunstfestival Luzern an verschiedene reizvolle und bisher unbeachtete Unorte ein, die sie mit temporären Interventionen aus Kunst und Musik bespielen. Sie bieten damit ein attraktives Experimentierfeld für Künstler*innen und bauen gleichzeitig die Hürden für wenig kulturaffines Publikum ab: ohne offiziellen Türrahmen, ohne inoffiziellen Dresscode und ohne Erwartungen.

Kraut #5

Suchen und Finden

Die drei Zürcher Künstlerinnen Nina von Meiss, Christina Pfander und Dominique Vigne arbeiten seit 20 Jahren installativ zusammen. Für das Kraut-Festival haben sie Baulatten mit pinken Streifen versehen und als Leitplanke zur Treppe hin installiert, die schnell übersehen wird. Zu dieser Installation ist im Rahmen des Kraut #5 der Künstler Attila Wittmer in einen nachträglichen Dialog getreten: Er wählte Zeichnungen aus seinem Archiv aus, die solche Baulatten zeigen und so die Besucher*innen indirekt auf das skulpturale Werk hinweisen, an welche sie gerade ihre Velos abgestellt haben.

Ein lockeres Setting, das zum hemmungslosen Diskutieren anregt. Neben besagten Illustrationen aus dem Archiv hat sich Wittmer direkt mit dem Ort auseinandergesetzt und an der Mauer am Flussweg Zeichnungen installiert, die auf den vollgetaggten Hintergrund oder die grün bewachsenen Stellen eingehen. Mit dem Rücken zum Fluss geht man den Weg entlang, macht am Ende kehrt und entdeckt auf der anderen Seite das mit Farbstiften dargestellte 80er-Zone-Schild. Betrachter*innen scannen mit den Augen die Autobahnarchitektur und versuchen, eine weitere Zeichnung zu entdecken: So wird die urban-organische Umgebung genau untersucht.

Kraut #5

Lust am Flüchtigen

Die samstäglichen Krautgänger*innen wurden auch mit Trinkbarem Überrascht: Die fahrbare Capitol Bar reichte Drinks in Gläsern und Plastikbeuteln, die zwar Findet-Nemo-mässig aussehen, meerestechnisch aber nicht ganz so prickelnd sein dürfte. Der falsche Negroni ist sehr zu empfehlen – spritziger und weniger gefährlich als das Original, aber das ist eine andere Geschichte.

Zusammen mit dem liebevollen Apéro kam eine festivale Stimmung auf, die sich noch verstärkt, als die Luzerner Soundkünstlerin Martina Lussi zu spielen beginnt. Die verstreuten Grüppchen finden sich vor der Trauerweide zusammen und lauschen dem gewaltigen Klangteppich. Bewusst unbewusste Schichten verweben sich mit dem Rauschen der Reuss, des Zuges und den weiteren Geräuschen des Stadtrands. Ein Carfahrer lehnt sich weit aus dem Fenster, lauscht und schaut beim Vorbeifahren. Auch eine verwirrte asiatische Touristengruppe bleibt zögernd stehen, um dann aber schnell weiterzueilen, um den Anschluss nicht zu verpassen.

Martina Lussi am Kraut #5

Eine Veranstaltung – eher ein Happening –, die vielleicht nächste Woche bereits wieder vergessen sein wird, denn das Temporäre verleiht der Ausstellung eine Flüchtigkeit, die aber gut zum leichten Sommergefühl passt. Was bleibt, sind die ausgespuckten Olivenkerne und die angenehme Gewissheit, dass man sich zurückerinnert, wenn man mit dem Velo die St. Karlistrasse hinunterdüst. Denn Orte mit nachhaltigen Erinnerungen zu verknüpfen gehört zur kraut’schen Mission, wie die liebevolle Lust am Unkonventionellen.

Kraut #6: Samuli Blatter, Christian Schwarzwald, Valeria Zangger, Simon Iten
DI 13. August, 19 Uhr
Kellerstrasse 10, Luzern

Die Rezension gefällt? Hier gibt's alle Texte von Gianna Rovere!