Performatives Stelldichein (Teil 1)

Kunstmuseum Luzern, 16.10.2015: Für die Dauer von drei Tagen konzentriert sich die nationale Performancekunstszene in Luzern. Beim Performancepreis Schweiz 2015 erwartet das an handlungs- und körperorientierten Kunstformen interessierte Publikum ein jurierter Wettbewerb und zahlreiche performative Rahmenveranstaltungen.

Performancekunst steht beim gemeinen Kunstpublikum normalerweise nicht zuoberst auf der Präferenzliste. Als Nischenkunst verschrien oder schlicht als Vernissage-Unterhaltung missbraucht, rotten sich die Performerinnen und Performer in gut organisierten und vernetzten Gruppierungen zusammen, um den Autonomieanspruch mit aktionistischen Veranstaltungen zu manifestieren. In der jüngsten Vergangenheit sind zunehmende Verdichtungserscheinungen innerhalb der Schweizer Performancekunstszene zu beobachten. Der Performancepreis Schweiz basiert auf einer Initiative der Kantone Basel-Stadt und Aargau, sowie der Stadt Genf und wird seit 2014 in einer erweiterten Partnerschaft gemeinsam mit den Kantonen Luzern und Basel-Land durchgeführt. Die diesjährige Ausgabe hat sich der Kanton Luzern auf die Fahne geschrieben und das Kunstmuseum Luzern als Veranstaltungsort auserkoren. Das Herzstück des Anlasses ist ein ausgeschriebener Wettbewerb, wovon sieben Live-Performances aufgeführt und prämiert werden.

2015-10-16 18.07.52

Reflektieren, dokumentieren, archivieren Anlässlich des Performancepreis Schweiz hat das in Luzern beheimatete Kollektiv migma+ im Vermittlungsraum des Kunstmuseums einen Reflexionsraum kuratiert, dessen Präsentationsarchitektur vom Luzerner Künstler Timo Müller aus Holzplatten gezimmert wurde. Die kantige Balkenkonstruktion dient als Ablagefläche für die Recherchematerialien zur hiesigen Performancekunstszene aus den vergangenen Jahren. Das bereitliegende Material, das einen Zeitraum von rund 25 Jahren abdeckt, stammt von Institutionen und Veranstaltungsgruppen, die sich mit Performancekunst auseinandersetzen und vermitteln. Dazu gehören migma performancetage, o.T. Raum für aktuelle Kunst, die Kunsthalle Luzern, Kunst-Forum Zentralschweiz, sic! Raum für Kunst, Südpol und einige mehr. Auf Computern, in Kartonboxen, in Mappen, Magazinen und auf Plakaten gewährt der Reflexionsraum einen weitreichenden Einblick in Dokumentations- und Archivmaterial. Videoaufnahmen, Fotografien, Texte und Konzepte lassen sich vergegenwärtigen und miteinander vergleichen. Der Reflexionsraum dient zudem als Gefäss für die Entladung der dokumentarischen Performances, die während den drei Tagen permanent stattfinden. Der Luzerner Künstler Christoph Fischer zeichnet die Aktionen, Ariane Andereggen interviewt das Publikum und fängt dessen Befindlichkeiten ein, während Joëlle Valterio ihrerseits das reflexive Gedankengut notiert.

2015-10-16 16.13.15

Wer klebt den da? Am Freitagnachmittag hat das Kollektiv Piccoli Productions eine performativ-installative Aktion gestartet, indem sie einen jungen, dunkelhäutigen Mann mit schwarzem Gaffatape an die Ausstellungwand geklebt haben. Während dies bei einigen Besuchern fassungslose Enttäuschung auslöste (Was? Das sell en Performance sii? Hey nei, ech be extra för das cho, aber wenni das gwösst hetti, wäri also ned cho!), bewunderten die anderen die Einfachheit des generierten Bildes, das stark an die Ikonografie der Kreuzigung von Christus erinnerte. Willkommen in der ambivalenten Welt der Performancekunst, die sich immer wieder durch ihre Nichtdefinition zu definieren vermag und dementsprechend ratlose und fragende Gesichter hinterlässt.

2015-10-16 15.58.58

Nach einer gut besuchten Podiumsdiskussion zur Frage «Darf/Soll Performancekunst gesammelt werden?» erfolgten zwei weitere performative Programmpunkte, die den Charakter einer Präsentation versprachen. Die vor gut einem Jahr gegründete Netzwerkorganisation PANCH (Performance Art Network Schweiz) präsentierte sich in Form zweier Mitglieder, namentlich Mirzlekid (Hansjörg Köfler) und Angela Hausheer, gleich selbst. Mit Megaphon und einem Bündel Einzahlungsscheinen auf einem Notenhalter bewaffnet, glitt Angela Hausheer rück- und bäuchlings durch den Reflexionsraum und verkündete parolenartig die Informationslage zu PANCH. Anekdoten und Fakten zur Gründung, Vereinsstruktur sowie Ideen, Ziele, Chancen und Probleme wurden gleichermassen wie die Einzahlungsscheine (und die nette Aufforderung doch Mitglied zu werden) an das Publikum verteilt. Parallel bannte sich Mirzlekid mit Heissleimpistole seinen Weg durch das sitzend- und stehende Publikum und verband dieses durch die transparenten Leimbindfäden.

2015-10-16 18.15.03

Beinahe im selben Atemzug vor einem Jahr entstand die textreflexive Aufforderung von ApresPerf an allerlei Menschen, sich nach dem Betrachten einer Performance einen Stift in die Hand zunehmen oder die Finger über die Tasten flirren zu lassen und das unmittelbar Erlebte niederzuschreiben. Die Texte, Statements und Notizen werden gesammelt und auf der Homepage veröffentlicht. Die beiden Hauptredakteurinnen, Andrea Saemann und Doro Schürch haben vier unabhängige Protagonist_innen eingeladen, unter der klapprig zusammengebauten Leseglockefahne (eine stilisierte Leseglocke, appliziert auf einem plastikartigen Gewebe und mit Metallstangen zusammengehalten) ihren Gedanken zu der schriftlichen Dokumentationsplattform ApresPerf freien Lauf zulassen. Fortsetzung folgt...

Der Performancepreis Schweiz dauert noch bis am SO 18. Oktober 2015. Detailprogramm findet sich auf der Homepage von migma.