Nuts!

Neubad Luzern, 16.12.2016: Dreimal drei Slampoet_inn_en aus drei Ländern zur neunten Ausgabe «Neubad Slam». Höchste Zeit für ein Kulturteil!

Als hätt ich mir die Köpfler in den Pool fürs Lautetauchen und die Sinnsprünge-Schwimmzüge aufbewahrt, beteiligte ich mich als Primarschüler damals vor allem vom Beckenrand aus am Unterricht. Das Hallenbad ist voll wie nie zuvor, ich darf mich mit wenigstens einer polsterunterlegten Arschbacke glücklich schätzen. Das gesprochene Wort auf Erfolgswelle – und mit ihm das Neubad. Ein Grund dafür muss das Moderatorengespann sein. Es ist für sich schon unterhaltsam genug. Remo Rickenbacher und Valerio Moser – beide gestandene Slampoeten und umtriebige Gastgeber in der Szene. Ein inzwischen eingespieltes Powerduo mit Rollenverteilung und Running-Gags.

 

Méloé Gennai aus Genf macht den Anfang. Zuckersüsse sprachliche Verlegenheiten beim Deutschsprechen mit französischem Akzent. Die Geschichte: einfühlsame Gespräche mit Langusten über ihre Orgasmen, ob beim Regal oder an der Kasse des Warenhauses. Es folgt die Luzernerin Lisa Brunner mit einer lebhaften Performance über die vielen tollen Dinge, die man bloss kurze fünf Minuten pro Tag zu machen braucht fürs Bessersein. Mit einem versöhnlichen Schluss über die besten fünf Minuten.

Mario Tomic aus Graz beendet die erste Runde und gewinnt sie. Ein kurzes Echoreim-Gedicht («Grillen grillen») bricht das Eis, um dann in eine poetische Ode ans Wasser zu tauchen. Er entfaltet den Kosmos des irdischen Lebenselixiers mit liebevoller Sprachgewalt, während das Publikum beim Wallen seiner Arme – das wurde vorher einstudiert – Rauschgeräusche macht.

Auch einer Lebensgrundlage ist Leticia Wahls Gedicht ans eigene Herz gewidmet. Die Marburgerin bringt heute Abend die schönsten Verse am schönsten. Der Körpereinsatz am glanzvollsten mit der Sprache verdichtet. Sei es bei der Körperperkussion, zu der gerappt wird, oder dem Aufdistanzgehen und Zurückkommen des Herzens, dem es die Stimme gegenüber dem Mikrofon gleichtut.

Aus der poetischen Entzückung holt mich Thurgaus Klaus Estermann. Noch nicht, wenn sein mikrosoziologisches Portrait der wohlstandsgeizigen «Schmörzeler» – ein wahrhaftig helvetisches Thema! – gemütlich katalogisierend einsteigt. Aber dann, wenn es Fahrt aufnimmt: «Kremieren kostet, die bleiben so lange wie möglich leben! Die Lösungen dafür sind leider alle verboten.» Die Tirade landet weich in Ratschlägen, um selbst nicht «Schmörzeler» zu sein. Nach dem selben Schema zeichnet Estermann im Finale die «Gäbigers», diese superpraktischen, ultragäbigen Schlaumeier in allen Lebenslagen. SchlAU! bis es wehtut.

Der zweite Grazer Klaus Lederwasch macht Klamauk mit seiner Sidekick-Katze (phonetisch:) «Kuki» unterm Arm, tanzt einen Kreis um den Mikrofonständer für die «voll krasse performative Komponente», alles mit einem stereotypischen Akzent mit dem z.B. stereotypisierende Akzente angeprangert werden. Lederwaschs Meta-Slam geht ab, ins Herz des Publikums hat sich aber Esternmann geredet, während mir der Rockgitarren-Soundcheck im Neubad-Keller unten während Wahls Liebeserklärung das Herz brach. Hannah Reinhardt aus Langenthal eröffnet Runde Drei. Steif das Papier vor sich gestreckt, gutes Deutsch, gutes Metrum, gute Lautdichte, etwas über «solche Menschen» und «Leere» – ein Auftritt, der seinen Text (noch) nicht auf das nächste Level hievte. Auch Fehmi Taner (Bern) blieb unter seinem Potenzial. Etwas auf Mundart mit dem Auditorium connecten, dann Blatt hervornehmen, Programm abspulen, in dem zum Beispiel vorkommt: «langsam gehe ich mir selbst auf den Sack». Wie erkennt man den Erfolg eines Textes, wenn – vielleicht? – Scheitern sein performativer Gehalt ist?

Dann der Mann mit der Lachgarantie aus Olten. Nicht Mike Müller, der kommt aber vor in der Fantasie einer Familienserie mit einem gutherzigen Vater («Der Gestatter»). Es ist die Fantasie des Kilian Ziegler. Was für eine Rampensau. Der schwadroniert beim Vortragen mir nichts, dir nichts skialpin schnell zwischen Deutschem Standard, Schweizer Standard und seiner Mundart umher. Und immer dann, wenn er sich selbst mit «so en scheiss» runtermacht, ist der Spontanapplaus frenetisch. Wie Estermann hat er scheinbar sein Schema gefunden: man nehme einen beliebigen Begriff (heute Abend: Nüsse und Walter vom Wimmelbildbuch, mit Bibern hab ich es auch schon mal erlebt) und produziere dann alles, was sich an Geistreichem und Lautverspieltem damit produzieren lässt, nur lustig muss es sein. Man ahnt es: Ziegler hat am Schluss den ersten Schluck aus der Poetry Slam-obligaten Siegeswhiskyflasche genommen. Tomic brachte fürs Finale einen Text im Zeichen seines Status als paradebeispielhafter integrierter Ausländer. Der zumindest im Subtext politische Beitrag des Abends – oberflächlich wars auch vor allem lustig – konnte dem Reizbombardement Zieglers nicht standhalten. Moderator Moser erklärte in seinem Einstimmbeitrag auch, dass nicht alles Unterhaltsame eine Botschaft haben muss. Vielleicht umso weniger – desto voller das Haus.