Klangkomposition der Superlative

Südpol Luzern, 04.03.2016: Tanz, Performance, oder doch ein Konzert? Gestern verwischten die Choreografin Keren Levi und der Londoner Komponist Tom Parkinson mit «Clubbing» ordentlich die Grenzen der Genres. Clubgefühle kamen bei mir keine auf – stattdessen sah ich ein Ereignis, das an Präzision kaum zu überbieten ist.

Man nehme eine Melone, schneide sie an einer Seite ab und ziehe ein abgeschnittenes Strumpfende darüber. Und jetzt: hacken! Wir befinden uns natürlich nicht in einem Aggressionsbewältigungsseminar, sondern inmitten des Bühnengeschehens. Zwei der sechs Frauen geben durch das Aufeinandertreffen ihrer Holzstöcke den Takt an, eine spielt auf dem Cello, durch die Boxen ist das Heulen des Windes zu hören, es surrt etwas dem Boden entlang, es knarrt, es dröhnt, poltert und klopft ... Willkommen im Klangkarussell!

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Jahrmarkt für die Sinne Die in Israel geborene Keren Levi mit Jahrgang 1972 hat zusammen mit Tom Parkinson ein wahres Kompositionsmeisterwerk vollbracht. Auf das Schlagen des Holzstocks folgt auf die Sekunde genau der Einsatz des Cellos, das Brechen der Fenchelstängel ist exakt dann zu hören, wenn der Stab durch die Luft saust. Unsere Sinne – zumindest zwei davon – werden vollends in Anspruch genommen und nicht selten an der Nase herumgeführt: Woher stammt dieses Geräusch? Höre ich das, was ich sehe oder liegt die Quelle anderswo? Die Schritte des teilweise an Kampfkunst grenzenden Tanzes werden rhythmisch genauso eingebaut wie die beiden umfunktionierten Salatschleudern. Und dann endlich das erste gesprochene Wort. Zwar unverständlich, weil eine andere Sprache, aber dennoch eine weitere Komponente, die ihren ganz klar vorgegebenen Einsatz hat. Jetzt wird es ruhig, bis abermals nur das Schlagen einzelner Holzstöcke zu hören ist. Dann legen sie richtig los. Holzstöcke. Paartanz. Xylophon. Stimmen. Percussions. Sie rufen, schlagen und schmatzen was das Zeug hält. Assoziationen vor dem inneren Auge entstehen, lassen mich abdriften, einzelnen Geräuschen aus diesem Klanguniversum folgen, wieder loslassen, andere aufnehmen. Ähnlich einem Jahrmarkt wirkt das Erlebte zugleich überfordernd und berauschend.

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Handlungsfrei unterwegs Sinnsuchende sind bei «Clubbing» gänzlich verloren. Hier wird kein Stück mit rotem Faden gezeigt, sondern eine Komposition, aufs Genaueste durchdacht. Trotz fehlendem Handlungsstrang vermag die Gruppe um die sechs Frauen eine Spannung aufzubauen, die bis zum Ende besteht. Sie vollführen ihre Abläufe mit einer erschreckenden Konzentration und Sicherheit, die nichtsdestotrotz lebendig und kräftig bleibt. Genau diese Präzision ist es, die das Eintauchen in diese Klangwelt erlaubt und die Anwesenden vergessen lässt, um was für ein Genre es sich hier handelt. Eine Berührung mit dem Metronom. Licht aus. Ende. Durchatmen. Auf der Website von Keren Levi ist zu lesen: «In one way, Clubbing is simply an invitation to listen to movement». Entweder du nimmst diese Einladung an oder lässt es bleiben.