Histotainment alter Schule

Luzerner Theater, Mittwoch, 10. Oktober 2012. Maria Stuart ist verurteilt, endlich mausetot und siegt trotzdem; dies sind die typischen Eckdaten eines klassischen Dramas Schiller'schen Schnitts. Daraus hat Sabine Auf der Heyde einen properen, aber handwerklich hervorragenden Premierenabend inszeniert.

(Bilder Luzerner Theater/Tanja Dorendorf)

Das waren noch Zeiten: Weimar und Jena um 1800, Goethe und Schiller! Da wusste man, wie Theater zu fertigen war: Einheit von Ort, Handlung und Zeit, widerstrebende Ideen (wobei klar ist, welche gut, welche böse sind), Symmetrie, Harmonie und Humanität allenthalben und eine wohl kalkulierte Abfolge von fünf Aufzügen. Mit den Jahren verfestigte sich dieses Konzept unter der Bezeichnung «Klassik», die als stillbildende Epoche künstlerischen Schaffens zum Referenzpunkt wird. Generationen haben sich daran angelehnt, ihn verworfen oder sich mühevoll davon emanzipiert. Dabei hatte sich die Realität dem Konzept zu beugen. So verfährt Schiller relativ frei mit den historischen Tatsachen: Flugs verjüngt er die beiden Protagonistinnen um rund 20 Jahre. Er klagt gar über «eine gewisse Tendenz zur Trockenheit» in der historischen Vorlage, die ihm viel Zeit koste, «weil ich den poetischen Kampf mit dem historischen Stoff darin bestehen musste und Mühe brauchte, der Phantasie eine Freiheit über die Geschichte zu verschaffen, indem ich zugleich von allem, was diese brauchbares hat, Besitz zu nehmen suchte.» Der Ein-Wirkung auf den Zuschauer wird manche historische Tatsache geopfert – die Personenkonstellation um Maria Stuart (Juliane Lang) wird gar frei mit der Figur von Mortimer (Hajo Tuschi) ergänzt.

Vielleicht hätte man Auf der Heyde auch mehr Freiheit von Schiller oder gar ein Ausrufezeichen in eigener Sache gewünscht. Wenn am Ende des zweiten Aufzugs Elisabeth (Wiebke Kayser) und der opportunistische Graf von Leicester (Philipp Oehme) zu Deichkinds «Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)» die Sau rauslassen, dann wirkt das aufgesetzt; man kann den Wunsch der Protestantin Elisabeth nach Ausgelassenheit und Ausbruch aus der inneren Gefangenschaft subtiler auf die Bühne bringen. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Luzerner Theater insgesamt ein sehr gelungener Theaterabend geglückt ist. Die beiden Schauspielgäste Phillip Oehme und Horst Warning (perfekt als Georg Talbot) ergänzen das sehr gute Hausensemble optimal. Die Kürzungen und Aussparungen des Textes verdichten und brechen die harmoniebedürftige Vorlage: Dies gereicht der Aufführung zum Vorteil, denn sie gewinnt an Aussagekraft, trotzdem weist sie streckenweise einen Zug zur Biederkeit auf. Das liegt nicht an der Bühnengestaltung (Ann Heine), die zwar unscheinbar gehalten ist, aber performativ – als plötzlich erscheinende Wand oder als einengender Kubus – wirkungsmächtig zum Einsatz kommt. Gelungen ist die musikalische Begleitung – mal abgesehen vom unnötigen Deichkind Song. Verschrobene, maschinell wirkende Klänge gemahnen an das unaufhaltsame Schicksal der Maria Stuart. Blitzartiges Licht fängt für einige Augenblicke die Szenerie in weiss getauchte Stillleben ein. Daraus entstehen Bilder, welche die Verstrickungen und Empfindungen der Figuren plastisch greifbar machen. Maria, die – das ist anfangs bereits klar – hingerichtet wird, stirbt als Märtyrerin für Freiheit und Gerechtigkeit.