Folien zum helvetischen Bergmythos – aus Tal- und Gipfelperspektive

Luzern, 10.04 2013. Das Theater Aeternam zeigte zum ersten Mal ihre Verschachtelung von gleich zwei Stücken, wobei in einem die Oberflächlichkeit der Bergsehnsucht von Städtern und im andern die nicht humorlos vorgetragenen Existenzbedrohungen der Bergler zu Worte und Wortreigen getragen wird. Als Kulisse für die Überlagerung der beiden Blicke auf die alpine Erfahrung dienen die verschiedenen Bergdioramen im Alpineum, die schon seit Anfang des letzten Jahrhunderts den Touristen Vorstellungen zur Schweizer Höhenlandschaft bieten.

Sicherlich keine seichte Idee – ausgerechnet in einer althergebrachten Touristeneinrichtung wie dem Alpineum ein Theater aufzuführen, das den aktuellen Zustand eidgenössischer Wahrnehmung der Bergwelt verhandelt und den Faktor der Klischeehaftigkeit dabei hinterfragt. Als das Gebäude gebaut wurde und die Gebirgsszenerien 1901 erstmals ausgestellt wurden, sah die Welt noch anders aus. Der echte Anblick eines Gebirgspanoramas von den Gipfeln aus gesehen blieb vielen aus technischen oder finanziellen Gründen verschlossen und solche riesige Malereien wie sie hier geboten wurden und noch werden, versprachen ein willkommenes Mittel, um die Faszination und Sehnsucht nach dem Naturspektakel wenigstens teilweise zu befriedigen. Wie sieht dies nun in unserer Zeit aus? Die Berge sind für jedermann zugänglich, so dass man sich nicht mehr mit Abbildern in Form von Malereien oder Fotographien begnügen muss. Und dennoch gibt es nebst der alpinen keine geographische Zone in diesem Land, die so selten von symbolisch aufgeladenen Vorstellungen unterschiedlichster Art – seien es glorifizierende oder verklärende - verschont bleiben würde. Genau mit solchen Bildern, die nicht an der Oberfläche echter Felsbrocken kratzen möchten, spielt die Theaterproduktion unter der Regie von Walter Sigi Arnold. Der Einfall ist pfiffig, zwei Stücke, nämlich «Das Matterhorn ist schön» von Beat Sterchi und «Alpabzug» von Antoine Jaccoud (von Sterchi aus dem Französischen in Mundart übersetzt) zu verknüpfen. Denn schnell wird deutlich, dass es sich nicht um eine reine Gegenüberstellung im Sinne von gut und schlecht oder wahr und falsch handelt. Zwar zeigt Sterchis «Das Matterhorn ist schön» eine etwas lächerlich anmutende Ausflugsgruppe, die nach dem Motto «back to the nature» einem kitschigen Bergidyll nacheifert und Sonnenuntergangsfotos des Matterhorns als Jagdtrophäen anhäuft, während es auf der anderen Seite im «Alpabzug» um die «echten» Bergbewohner geht, welche tatsächlich wegen des fehlenden Schnees gezwungen sind, ihre Existenzgrundlage ins Tal zu verlegen. Jedoch unterlegt das Theater Aeternam letzteren genauso wenig das Pathos einer bedauernswerten Ernsthaftigkeit, wie man es bei der Thematik der «armen» Bergbevölkerung vielleicht vermuten könnte. Vielmehr werden die Protagonisten aus dem einen, wie auch aus dem anderen Theaterstück als Klischeemalerei inszeniert und ausgestellt. Nicht zuletzt dank der Sprache, die in keinem der beiden Stücke zur Dialogform gebaut ist, sondern in Aneinanderreihungen von Phrasen und einzelnen Wörtern mehr zu einem Klangarrangement avanciert als zu einem Handlungshöhepunkt führt, entpuppen sich alle Figuren als Persiflagen von Stereotypen. Während sich die Sprechfetzen der städtischen Zermatt-Besucher um triviale Dinge, wie den Verlust von Autoschlüsseln, Handys oder Frühstückseier drehen und der einzige gemeinsame Nenner immer wieder in der Feststellung «das Matterhorn ist schön» besteht, stützen sich die Bergler stets auf Floskeln à la «mer send de ou no öper, mer chönd öpis». Als Zuschauer im Alpineum wird man automatisch Teil einer Metaebene des Theaters, da man schliesslich während des Ausfluges der Gruppe zum Matterhorn von einem Bergdiorama zum nächsten mitreist. Die Reiseführung für das Theaterpublikum übernehmen zugleich die Bergleute aus dem «Alpabzug», die es selbstverständlich nicht unterlassen haben, den Start in den Touristenshop des Alpineums zu verlegen.

Die Vorstellungen können noch bis zum 10. Mai besucht werden, jeweils 19.30 Uhr und 21. Uhr, sonntags jeweils 18. Uhr und 20. Uhr.