Fender, Marshall und Wah-Wah – Hendrix-Tribute in der Schüür und der Bar 59

Vor vierzig Jahren segnete Jimi Hendrix auf die bekannt wenig appetitliche Art das Zeitliche; Grund genug für Schüür und Bar 59, den Revolutionär der E-Gitarre mit ausführlichem Tribut zu feiern. Auch Pirelli setzte sich eine Überdosis und pendelte zwischen vier Bands.

Kaum ein Musiker beeinflusste Klang, Spielweise und Stellung der E-Gitarre in der Rockband derart wie Jimi Hendrix, der am 18. September 1970 in London knapp 28-jährig an seiner Kotze erstickte. Kaum ein Gitarrist seither, der sich nicht auch auf ihn beruft, nicht Passagen seiner Solos oder ganze Stücke nachzuspielen imstande ist oder sich wenigstens bemüht, solches zu tun. In den Sechzigern seine Aufnahmen zu hören, ihn vielleicht gar live zu sehen, muss einer Offenbarung gleichgekommen sein; mühelos nahm er mit komplexen Akkorden, ausgefeilten Scales und immer wieder unerwarteten musikalischen Wendungen vorweg, was sich erst in den Siebzigern verbreitete, als der Rock sich dem Jazz öffnete. Dieser Jahrhundertmusiker also wurde nun also geehrt, den Auftakt machte am Donnerstag Asep Stone in der Bar 59. Das Konzert begann einigermassen spät, man trat sich also im Wechsel auf dem Vorplatz die Beine in den Bauch, wo man rauchen durfte (siehe Anhang 1), und liess sich in der Bar vom unvergleichlichen DJ Michael Richter mit Hendrix-Originalen und -Covers beschallen. Richter hat nicht nur die grösste 7-Inch-Sammlung östlich des Rio Pecos – es sei neidlos anerkannt  –, sondern verfügt über enzyklopädisches Musikwissen; alle Nummern werden anmoderiert, man erfuhr zum Beispiel, dass Hendrix zu Lebzeiten vier Studioalben einspielte und fünf Top-Ten-Platzierungen mit Singles hatte, alle in England. Einzig mit «All Along the Watchtower» sei er in den USA in die Charts gekommen, auf Platz 28. Unter den gespielten Covers eine Furchtbarlichkeit von Patti Smith, die sich an «Hey Joe» aufs Übelste verging – der aufkeimende Hass war dann schnell gestillt, als Asep Stone endlich die Bühne enterte. Der gebürtige Indonesier wirkte wie eine cleane Wiedergeburt von Jimi, die Stratocaster über Marshall sang wie zu besten Zeiten; auch die mit viel Echo versehene Stimme vermochte teils am Original zu kratzen.

Einzig mit der bei Hendrix legendären Unabhängigkeit von Gesang und Instrument war es nicht ganz so weit her, Stone musste Gesangslinien öfter etwas beschleunigen, um sich auf das folgende Gitarrenlick fokussieren zu können. Das tat der Authentizität aber nicht viel Abbruch, zumal Stone eine Linkshänder-Strat (durchaus auch mit den Zähnen) spielte, die er umgedreht und auf rechts besaitet hatte – ganz wie Linkshänder Hendrix es mit einem Rechtshänderinstrument tat, da es damals nur wenige für Linkshänder gebaute Gitarren gab. Ebenfalls zur Authentizität trug der notorisch nicht so tolle Sound in der Bar 59 bei: Damals gaben die PAs auch nicht viel her. Stone ist ein virtuoser Gitarrist, der seinen Hendrix gründlich studiert hat und ihn mit viel Begeisterung wörtlich zu zitieren vermag. Zumindest im ersten Set weniger glücklich machte die Rhythm Section, Bassist Ivo Bucher wirkte verhalten, brachte etwas wenig Druck, und Schlagzeuger Lukas Meier spielte oft etwas gar variantenreich und synkopiert, was zusammen mit dem leicht schwachbrüstigen Bass dazu führte, dass das Trio auseinanderzudriften schien. Man hätte sich hier etwas mehr Dichte gewünscht, mehr Kompaktheit. Die Mehrzahl des Publikums schien das allerdings nicht zu stören, es wurde lauthals mitgesungen und ausgiebig getanzt (siehe Anhang 1). Die Asep Stone Experience wird am 6. November in Tschuppi’s Wonderbar spielen; hingehen, es lohnt sich durchaus.

Keine Probleme mit der Unabhängigkeit und der Kompaktheit des Sounds hatte das Trio um Christian Winiker, das den Freitagabend in der Bar 59 eröffnete. Man spielte ausgefeilte, bluesrocklastige Eigenkompositionen, bei denen sich unschwer Hendrix-Einflüsse heraushören liessen, Andreas Schwerzmann (Bass) und Jwan Steiner (Drums) legten ein sattes Fundament, auf dem sich Winiker solistisch austoben konnte. Selten einen so vielseitigen, präzisen, ausgebufften Gitarristen gehört! Eine Entdeckung! Erfreulicherweise liess er sich nicht vom allgemeinen Stratocaster-Zwang unterjochen, sondern spielte eine Telecaster, deren ohnehin grosse Klangvarianz er mit bescheidenem Effekteinsatz in ungeahnte Höhen trieb. Dazu verblüffende Jazzharmonik, sorgfältig und präzis ausgeführte, unerwartete Breaks – eine wahre Freude. Stark auch, wenn man Funk beimischte, dann wurde offenbar, dass Winiker eigentlich das uneheliche Kind einer bislang geheim gehaltenen Affäre von Hendrix und Lenny Kravitz ist. Pssst. Zweierlei tat der Freude etwas Abbruch: Winikers Stimme vermochte, vielleicht nur an diesem Abend, der gitarristischen Virtuosität nicht ganz zu folgen, sie ist, könnte man sagen, noch ausbaufähig. Und dann ist da die Sache mit den Namen: Sorry, Jungs, aber «A de Gitarre ond am Xang de Chreschtian Winiker» ist einfach nicht so Rock ’n’ Roll. Ein Wunder, dass sich das Ganze nicht jazzschuleinfallsreich «Winiker-Schnellmann-Steiner-Trio» nannte. Die Pause vor dem Haupt-Act überbrückte ich mit einem kurzen Wechsel (siehe Anhang 2) in die Schüür, wo More Experience aufspielten. Das Trio um Marcel Aeby ist seit nunmehr 23 Jahren mit Hendrix-Covers unterwegs, und wenn es darum geht, Jimis Erbe hochzuhalten, setzen sie immer noch die kaum je erreichte Referenz. Die Combo hat Druck, Sound und Bühnenpräsenz, wie man sie nur selten findet; die lange Routine (über 800 Konzerte, darunter auch Auftritte mit Noel Redding, Bassist in der Jimi Hendrix Experience, und Buddy Myles, Schlagzeuger in Jimis Band of Gypsys) äussert sich in einer traumwandlerischen Kompaktheit, die ihresgleichen sucht.

Konzerte von More Experience sind immer auch Geschichtsunterricht, Marcel Aeby verortet jedes Stück in Hendrix’ Biografie, wie ein gut gelaunter Oberstufenlehrer. Nicht dass das wirklich nötig gewesen wäre, das erstaunlich junge Publikum sang jeden Ton mit; es hat mich dann doch überrascht, welche Relevanz die Musik in der Enkelgeneration noch hat. Doch zurück in die Bar 59, zu den Stars des Happenings: Fredy Studer, Christy Doran und Bobby Burri erlebten ihre musikalische Initialisierung mit Jimi Hendrix’ Musik; lange, bevor sie mit OM die Jazzszene aufmischten, haben sie Hendrix gespielt. Schon wiederholt haben sie sich ihrem Idol wieder angenähert, in einem legendären Konzert in der Boa mit doppelten Marshall-Türmen, dort schon mit Bruno Amstad am Mikrofon; diesem Konzert folgte eine ganz grossartige Platte mit Phil Minton («Play the Music of Jimi Hendrix»), die die Originale respektvoll und innovativ mit Jazz und freier Impro vermählt (es gibt sie noch! Kaufen!), und dann 2004 wieder mit Jamaladeen Tacuma und Erika Stucki.

Im aktuellen Programm aber ging es wieder back to the roots, ziemlich originalgetreu wurden die Hits dargeboten, mit grosser Spielfreude und viel Dampf. Amstads Stimme ging im ersten Set etwas unter, was wieder an der tief hängenden Decke in der Bar 59 gelegen haben mag, davon war aber nach der Pause nicht mehr viel zu merken: Der Kerl kann einfach singen. Der Konzertraum war voll, die Leute deutlich älter als in der Schüür, aber nicht minder begeistert, glückliche Ausgelassenheit machte sich breit. Und einmal mehr liess sich bei gewissen, langsameren Stücken feststellen, was Blues bei mittelalterlichen Menschen auszulösen vermag: Sie machen alle die gleiche eigenartige, verzerrte, hingebungsvolle Grimasse. (Meine Miene verzerrt sich dabei auch, aber meist vor Schmerzen: Blues gehört endlich verboten oder zumindest mit ausführlicher Folter bestraft.) Es war ein grosses Konzert ganz grosser Musiker, dem die leider nicht allzu lang auftretenden Background-Sängerinnen Martina Brunner und Lea Fries die genau richtige Menge an augenzwinkernder Ironie beifügten, das Programm versandete nie in nostalgischer Eintönigkeit. Natürlich war Chreschtian Winiker die Überraschung des Wochenendes, natürlich war Asep Stone der authentischste Hendrix (dass sich Doran und Amstadl das Gesicht schwarz einfärbten, fand ich etwas over the top), natürlich haben More Experience, die schon so lang gar nichts anderes machen, den dichtesten Sound; aber Studer, Doran, Burri, Amstadt spielten mit das Herz jubeln machender, altersweiser Gelassenheit – been there, done that – und gleichzeitig so viel jugendlicher Begeisterung, man konnte kaum genug bekommen.

Eines allerdings sei allen Hendrix-Coverbands ans Herz gelegt: Es besteht überhaupt kein Zwang, immer «Hey Joe» als letzte Zugabe zu spielen. Anhang 1: Das leidige Rauchverbot. Als die Leute bei Asep Stone so richtig zu tanzen begannen, begannen sie entsprechend auch zu schwitzen. Läck, hat das gestunken. Es ist ohnehin komisch, Musik eines Kettenrauchers und Junkies in so klarsichtiger Umgebung zu hören, und weil das auch den Clubbetreibern nicht entgangen ist, setzen sie die Rauchmaschinen entsprechend grosszügig ein.

Die ganzen Lichteffekte funktionieren sonst ja auch nicht. Das führt dazu, dass man vor der Bühne in beissend-aggressiven Qualm gehüllt wird und sich noch blöder vorkommt dabei, dass man nicht rauchen kann. Nicht nur, dass der Kunstrauch wohl kaum weniger schädlich ist als der echte, man wird auch dauernd dran erinnert, dass man schloten sollte können. Rock ’n’ Roll ist einfach kein solcher ohne Zigi. Also haben wir dann halt geraucht, wohlwissend, dass die Securitys nicht bis vor die Bühne kommen und dass es niemanden stört, weil der Bühnenrauch alles überdeckt. Tatsächlich gerät man dabei in einen Widerstreit der Gefühle: Einerseits hat man bereits erst in vorauseilendem Gehorsam ein schlechtes Gewissen, dann aber überwiegt die zufriedenstellende Gewissheit der Rebellion: Endlich sind wir die Outlaws, die zu sein uns die Werbung seit Generationen vorgibt. Yes, fresst das, ihr Antitabakmissionare! Hinzu kommt, dass gerade die Bar 59 nicht optimal für das Rauchverbot eingerichtet ist: Man darf oben auf der Strasse nicht trinken, im Lokal aber nirgends rauchen, also drängen sich alle auf der Treppe, oft so dicht gepackt, dass es kaum ein Durchkommen gibt. Da nun die Stadt in aller Ernsthaftigkeit ein Alkoholverbot im Freien diskutiert, schwant einem Düsteres. In der Bar 59 sorgen die Securitys schon mal für einen Vorgeschmack. Anhang 2: Das leidige Peripherieproblem. Es wird immer ruchbarer, dass in den Augen unserer Obrigkeit im Umkreis von einem Kilometer um den Bahnhof «alternative» Kultur (also Kultur für Menschen mit variantenreichem kulturellem Anspruch und normalem Einkommen) keinen Platz mehr hat. Wir werden immer weiter an die Peripherie gedrängt. Nun kann man mit Recht sagen, dass der Weg zum Südpol oder zum Sedel machbar ist. Es entspricht aber einem sehr biederen Kultur- und Ausgangsverständnis, wenn sich der Abend auf eine einzige Venue zu beschränken hat: Club Hopping ist ein Menschenrecht. Und wir sind mehrheitlich mit Velo und ÖV unterwegs; mit dem Velo vom Südpol in den Sedel zu fahren, dauert ewig, das Taxi kostet an die 30 Stutz. Dass nun ausgerechnet diejenigen, die tatsächlich nur eine Lokalität pro Abend aufsuchen, und auch das nur alle paar Monate, und um Mitternacht brav wieder zu Hause sind, all ihre Ziele in bequemer Gehdistanz vorzufinden haben sollen, während die fleissigen KulturkonsumentInnen immer weitere Wege zurücklegen müssen, entspricht kaum der hierzulande so hoch gehaltenen sozialen Gerechtigkeit. Man wünschte sich Kulturchefinnen, Stadtpräsidenten und Polizeidirektorinnen, die tatsächlich selber auch ab und an mal die Nacht zum Tage machten, damit in die obrigkeitliche Strategieplanung und Entscheidfindung wieder bizzeli Gespür für unsere Realität Einzug halten möge.