«Es schlummert in jedem von uns»

Michel Gammenthaler (38) ist gekommen, aus dem Aargau, um Luzern die Ehre zu erweisen, im hiesigen Kleintheater für «Wahnsinn», sein Programm Nummer vier seit 2003, Premiere zu halten. Der Gewinner des renommierten Kabarettpreises Salzburger Stier 2010 nimmt in einem Mix aus verschränkten Rollennummern und Zaubergetrickse seinen Programmtitel wörtlich, um nicht zu sagen buchstäblich. Von Urs Hangartner (Bild: Mirco Rederlechner)
Das In-verschiedene-Rollen-Schlüpfen, die Kunst des rapiden Identitätswechsels (switching characters), das kann er, der Gammenthaler. Im neuen Programm «Wahnsinn» kommt es ihm bestens zupass, denn hier ist er fünf, genau gezählt sogar sechs Figuren, die sich zu bestimmtem Zweck in der Klapse aufhalten. Präziser heisst der Ort des Geschehens psychopathische Klinik Bellevue. In ihr ist aus therapeutischen Gründen das Kleintheater naturecht nachgebastelt worden. Auch das Publikum wurde aus besonderen Menschensegmenten rekrutiert. Alles dient der Therapierung des Michel Gammenthaler, vom Gestörtsein soll er nämlich in einer ausgeklügelten Experiment-Anlage (wieder) in die Normalität zurückgeführt werden. Der bedauerliche Befund: Erschöpfungsdepression (aka Burn-out). Rettung bringt da ein mit diversen Gästen assortiertes Bühnenprogramm, das Gammenthaler ermutigen soll, seinen angestammten Beruf wieder ausüben zu können. Der leitende österreichische Professor führt das Experiment durch und ist nicht ganz vom Verdacht befreit, selber einen tüchtigen Zacken ab zu haben. Er erklärt die Umstände, dass nun, vor der Pause, bevor es dann ernst gilt, das Rehabilitationsbühnenprogramm mit den einzelnen Nummern hauptgeprobt würde, zur Rettung und Heilung des unseligerweise zusammengebrochenen Michel (so ausgesprochen) Gammenthaler. Auftritt Volker Hagemann, ein Tüütscher mit CH-Akzent, die inkorporierte herrliche Parodie auf Exponenten von Eso-Scheiss, mit rotleuchtendem Gilet. Volker, der über seine plumpen Wortspielereien selber am meisten lacht, ist nichts mehr und nichts weniger als ein «Stadtschamane mit Diplom». Houdini-mässig wird ein Entfesselungskunststück versucht, das freilich in die Hosen gehen muss. Serge Widmer kommt an die Reihe, das Rot seiner Schärpe ist modisch mehr State of the Art. Serge ist ein tuntiger Zürcher und Zauberer. «Dä mit de elf Nötli» ist ein vertrackter Trick, wenn mit Hilfe von 2 Publikumspersonen 10-Franken-Scheine aus der Lederbrieftasche abgezählt werden, mit dem zu kleinerer Verzweiflung führenden Effekt, dass am Ende immer nur 10 Nötli übrig bleiben, im Extremfall eine wundersame Vermehrung auf 15 Stück sich wundersam ergibt. Das verwitwete Mütterlein (die Gammenthaler-Minimal-Figur: es reicht der Habitus mit Kopftuch) kann auch zaubern. Ihr verblüffender Trick, vom verstorbenen Ehemann Walti übernommen, ist an die Chinesische-Mauer-Durchdringung David Copperfields angelehnt. Ein aus dem Publikum gereichter Tschoope wird prompt per Messer durchstochen. Ein Scherz, doch kein fauler Zauber. Der Professor hat im Anschluss seine liebe Not mit dem banalen Hut und zahllosen roten Bällchen. Nach der Pause kommt Dimitri, ein Östler, seines Zeichens «spirituelles Medium und Chellseher». Er scheisst auf die Schulpsychologie. Überhaupt sei Psychologie nur ein Steinwurf von der Psychopathologie entfernt. Der spätere Auftritt des durchgeknallten, von Dimitri per Wässerchen ruhig gestellten Professors, ist der lebende Beweis für des Parapsychologen Theorie. Dimitri kann richtig hellsehen, belegt durch das Erkennen von notierten Therapieartenkarten. Man muss nur daran glauben: «Es schlummert in jedem von uns.» Endlich, das Ganze wird dann gleichsam auf eine Meta-Ebene gehoben, tritt der geheilte Gammenthaler höchstselbst auf. Der Jasskartentrick gelingt, Gammenthaler ist jetzt auch Hellseher und pendelt. Auch: Er «verrät» den Weisses-in-Rotes-Tuch-Verwandlungs-Trick. Sanft satirisch entwickelt sich in «Wahnsinn» der mit viel Geschick angerichtete Blick auf therapeutische Glaubensfragen, auf Figuren, die lachen machen. Lustig wars. Oder wie einer sagte: «Nicht schlecht für einen Aargauer.» Weitere Aufführungen: Do/Fr/Sa, 24.–26. März, 20.00 Uhr, Kleintheater Luzern; hier auch: Michel Gammenthaler als Moderator des Kabarettwochen-Eröffnungsabends «Ohrfeigen – Die Radio-Liveshow» (Mi, 30.3., bereits 19.45 Uhr). Mit dabei: Thomas C. Breuer, Camero, Jens Nielsen und Ursus & Nadeschkin, Schertenlaib & Jegerlehner.