Erst Frieden, dann Sex

Südpol Luzern, 28.10.2015: Die 2008 gegründete, freie Theatergruppe «Grenzgänger» aus Luzern feierte gestern mit «Lysistrata» Premiere. Es ist eine Adaption der griechischen Komödie des Dichters Aristophanes. Das ursprünglich 411 v. Chr. angesiedelte Stück wurde dabei ins Hier und Jetzt befördert. Der Abend zeigte, dass eine solch immense Umsiedlung keine Anmassung ist.

Die Männer ziehen heldenhaft in den Krieg, die Frauen sitzen daheim — strickend, auf ihre Gatten wartend. Doch was nützt dieses sehnliche Warten, wenn letztendlich bloss ein Leben mit einem verkrüppelten Soldaten winkt? Diese Frage stellen sich Lysistrata und Kalonike und rufen darauf ihr Friedensprojekt «No Peace, No Sex» ins Leben. Die Parole ist Programm: Sex gibt es erst bei dauerhaftem Waffenstillstand, denn «fighting for peace is like fucking for virginity».

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«Lysistrata» — übersetzt ins Deutsche «die Heeresauflöserin» — ist eine der bekanntesten Komödien von Aristophanes. Bei der Erstaufführung des Stücks herrscht bereits seit zwei Jahrzehnten Krieg zwischen den Bündnissen in Athen und Sparta. Unter der Führung von Lysistrata verschwören sich die Frauen der beiden verfeindeten Mächte, besetzten die Akropolis und rufen zur sexuellen Verweigerung auf, bis der Frieden im Land wieder eingekehrt ist. Sie landen einen Coup.

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Dem roten Faden des Originalstücks folgt auch die Inszenierung von Bettina Glaus. Dass der Krieg nicht in der griechischen Antike angesiedelt ist, wird bereits beim Betreten des Saals deutlich. Projektionen von Zeitungsüberschriften, rund um die Flüchtlingskrise, den IS und Syrien, zieren die Wand. Lediglich feine Details, wie Römersandalen, Rüstungsteile und ein kauderwelsch-artiges Sprachengemisch erinnern an Archaisches und verleihen dem Gesamtbild eine dezente Prise Komik.

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Auch auf inhaltlicher Ebene wird, auf hohem sprachlichem Niveau, das zuweilen gar ins Literarische abdriftet, humorvoll agiert. Kriegerische Attribute werden zu sexuellen Metaphern und umgekehrt; daraus resultiert eine höchst amüsante Zweideutigkeit. Gekonnt verschmelzen die Charaktere mit ihren Texten — Lysistrata (Friederike Bohr) gibt sich beharrlich und stark, Kalonike (Evelyne Gugolz) charmant und schnippisch, die Männer (Manuel Kühne, Ladislaus Löliger) stets wichtigtuerisch und etwas albern. Das Publikum lohnt mit gehäuften Lachern. Dennoch sind Gags nicht das Einzige, was den Zuschauern an diesem Abend serviert wird. Krieg ist schlecht, führt zu nichts, ja! Da muss eine Revolution her, sofort! Diese führt zum Waffenstillstand, ein Erfolg! Man(n) darf wieder! Vordergründig verläuft alles nach Plan. Dennoch, weshalb sind die Frauen stets noch zuhause am Stricken und lesen immer noch die gleichen Ärzteromane? Warum reissen sich die Männer nach wie vor um die bedeutendsten Territorien? So ganz subversiv mutet die Revolution nicht an. Ein Umdenken scheint, inmitten der ganzen Sex-Kriegs-Debatte, nicht stattgefunden zu haben. Und müsste nicht jenes Umdenken eigentlich die Voraussetzung für eine Revolution bilden? Ohne unnötige Längen und sonstigen Schnickschnack bringen die Grenzgänger ein komisches und anregendes Theaterstück auf die Bühne.

Weitere Vorstellungen: 29.10., 30.10., 31.10. und 1.1.2015.