Der Tod ist ein Dandy

Das Theater Aeternam gastiert mit Jon Fosses «Todesvariationen» im Südpol. Unter der Regie von Ursula Hildebrand hat das Ensemble ein Stück einstudiert, das sich der ganz grossen Themen der Literaturgeschichte bedient. Trotzdem keimt nie übertriebener Pathos auf.

Das Publikum verlässt die mittlere Halle. Der Applaus ist verklungen, das Bühnenbild (Marcel Glanzmann) – metallene Absperrplanken, um die sich die Zuschauerschaft stehend versammelt, ein roter Teppich, verstreute Tischbombenrelikte in der unteren rechten, ein Blumenmeer und Kerzen in der oberen linken Ecke – wird um seine Statisten ärmer. In der Shedhalle ist es still wie selten. Die Todesvariationen hallen nach. Ein Stück, in dem es von Themen wimmelt – angefangen bei Eros & Thanatos – die in den letzten paar tausend Jahren in jeglichen künstlerischen Formen durchgekaut wurden. Allerdings selten sprachlich so interessant und atmosphärisch wie hier. Es ist kein Requiem, obschon es ums Sterben geht. Eher ein Reigen, der durch Leidenschaft wie durch Überdruss, Geburt wie Tod, Einsamkeit wie Geborgenheit schreitet. Eine Symphonie des Lebens, in einer unglaublich melodischen Virtuosität. Figuren benutzten stellenweise exakt dieselben Worthülsen, repetitiv, wie kleine Refrains im gigantischen Song. Überhaupt: Alles an Fosses Sprache ist Musik. Da fügt sich auch Elvis Presley gut ein, von dem zu Beginn und gegen Ende «Such a night» und in der Mitte des Stücks diese Las-Vegas-Version von «Are you lonesome tonight» eingespielt wird. Das Lachen eines Geists über das Vergehen der Seienden. Als das Publikum sich stehend um die Absperrpranken versammelt hat und das Licht runter gedreht wird, befinden sich eine ältere Frau (Franziska Bachmann Pfister), ein älterer Mann (Wolfram Schneider-Lastin), sowie ein junger Dandy (Christoph Fellmann), der im Programmheft als Freund bezeichnet wird, auf der Bühne. Das Paar hat sich vor langer Zeit getrennt und trifft noch mal zusammen, weil sich die gemeinsame Tochter im Hafen ertränkt hat. Sie ertragen es nicht, sich zu sehen, es fällt beiden schwer zu akzeptieren, was geschehen ist. In einer phänomenalen Zeitspiegelung finden die beiden gleichzeitig als junges Paar (Rita Zimmerli, Marco Sieber) auf die Bühne, dessen Scheitern im Schnelldurchlauf gezeigt wird. Sie ist schwanger. Er sagt, alles werde gut, was wie eine Drohung klingt. Sie heiraten. Er findet eine Wohnung. Beide sind damit nicht wirklich zufrieden. Er weiss nicht, wann das Kind kommen wird – weil er sich solche Dinge halt nicht gut merken könne, wie er sagt. Sie gebärt. Die Tochter (Carmen Keiser) wächst heran, scheint auf einem anderen Planet zu leben, hat kaum Kontakt zu einer (realen) Aussenwelt. Ausser wenn sie mit dem Freund kokettiert. Sie kennen sich schon seit immer. Dann dieser «Was ist?»-«Nichts.»-«Ich merke doch, dass etwas ist»-Dialog des Elternpaars, der nun weiss Gott nicht wie viel mal in zigtausend Versionen ziemlich wortgleich künstlerisch verarbeitet wurde und aufzeigt, dass nicht mal Fosse als Dramatiker perfekt ist. Was irgendwie auch beruhigt. Das Paar trennt sich. Der Vater zieht aus, die Tochter hilft ihm beim Packen. Und immer wieder die Intermezzos mit dem Freund. Kurz bevor sie sich in einer emotionalen Szene – in der der Freund sie verzweifelt davon abzuhalten versucht, ihm zu folgen, da er sich in sie verliebt hat und sie leben sehen will – am Kai ertränkt, besucht sie beide Eltern ein letztes Mal. Mutter ist neurotisch und Vater hat 'ne Freundin in ihrem Alter. So endet die Tochter, und das Stück schliesst den Kreis zum Anfang. Die Gesamtkomposition des Dramas – allem voran die Zeit- und Textmontagen – ist umwerfend, wie das Spiel dieser im November 2009 mit dem Anerkennungspreis der Stadt Luzern ausgezeichneten, sich selber bescheiden als Amateur-Theatergruppe bezeichnenden Truppe. Diese Intensität, diese Sprache! Diese Stimmung, die mit dem Stück aufgebaut wird. Welche Herrlichkeit! Ein sich-Treiben-lassen und verfliessen im Moment. Denn das schöne an Jon Fosses Dramen ist, dass sie nicht bedeuten, sondern bloss sein wollen. Wie das Leben.

Weitere Aufführungen: 21.4., 24.4., 28.4., 1.5., 2.5., 14.5., 15.5., 16.5., Südpol Luzern