«& das alles wegen einem L und einem N» – Thielman Bier in der Loge

Er scheint alle Klischees eines nervtötenden, deutschen Laferis zu erfüllen. Thielman Bier wohnt in Berlin, ist Ex-Langzeitstudent, Immermalwiederslammer, Lesebühneaktivist. Zuweilen nennt er sich auch Kabarettist, und neuerdings ist die Gitarre ihm ein guter Freund. Sein Soloprogramm in der Loge ist trotzdem nur in sich überschlagenden Superlativen fassbar. Ich habe gelacht, herzlich gelacht, von Zeit zu Zeit auch nachgedacht.

Thielman Bier ist Kabarettist. Sprich, er ist lustig. Sprich, sollte es sein. Die meisten dieser Lustigen tuckern in eher seichten Gewässern. Bier tuckert auf der Spree. Tuckerte. Als Typ, der den Touristen die Sehenswürdigkeiten, inklusive historischen Hintergründen, erschloss. Ob Bayer oder Spanier. Das waren bereits zwei Geschichten. Loge, 30.3.2010. 20:00. Das Cern hat entgegen allen Rösslerschen Untergangsszenarien nichts kaputt gemacht. Carli der Platzhirsch sitzt noch immer in U-Haft. Dreiliterbier in der Loge, 30.3.2010. Der Wahlberliner startet mit einer musikalischen Einlage, in der er von Schützenfestbierzeltmusik über Wiener Lebensanschiss zu französischem Chanson alles durchleidet. Man, ICH muss ihm lassen, dass er der erste Deutsche ist, dessen Wege die meinen gekreuzt haben, der der «prononciation en français» mächtig ist. Eine bizarr-komische Anekdote aus Berlins Ost-Sektor, und 'nen Studentenparty-O-Ton später nimmt die Zuhörerschaft auch schon an einer Touristenbootsfahrt die Spree hoch teil. Mit an Bord: eine Schulklasse aus einem eigenschaftslosen Ort in Deutschland. Westfalen? Man möge mich korrigieren. Weiter mit an Bord: eine Horde betrunkener Spanier, die momentan wohl irgendwo in Frankfurt an der Oder ausnüchtert. Zuviel sei an dieser Stelle jedoch nicht verraten, zuunterst steht weshalb. Ob die Cern-Experimente doch Schwarze Löcher in den Jetzt-Kosmos gerissenen haben? By the way: Auch dieses Thema sponn eine wunderbare Geschichte. Für mich der Everest des Abends, umgeben von Achttausendern. Eine Verdichtung des Raum-/Zeitkontinuums, gekonnt montiert. Auf jeden Fall hab auch ich's nicht mehr so wahnsinnig mit der Chronologie. Auf einmal muss Bier in 'ner Hiphop-Disco 'ne Frau abholen, wobei er als deutscher Abiturhabender mit einem reichlichen Mass an Diskriminierung seitens der anderen zu kämpfen hat. Zum Glück verbündet sich ein Realschulabgänger mit ihm. Zusammen bilden sie die Intelligenzija des Clubs, wenn man so will, und schmieden einen meisterhaften Plan, der sogar aufgeht. Als nach mühseligen Anstrengungen alles geklappt hätte und die Frau bei ihm im Bett liegt, versaut er's vor Aufregung. Dumm fickt besser. Zwischen all den Storys, die durch ihre totale Authentizität teilweise doch sehr surreal einfahren, ist eine Auflockerung durch mal mehr, mal weniger lyrische Popsongs immer wieder nett. Wie der Country, zu dem das Publikum verpflichtet ist, laut «Y-haaa!» zu schreien, sobald es um Mord und Totschlag oder das Trinken geht. Das Set spielt im Wilden Westen und handelt vom Mord an Menschen, die Biers Namen falsch schreiben. (Anmerkung der Redaktion: Auch in diesem Text haben sich Fehler in den Namen des Künstlers geschlichen. Wer die korrekte Anzahl wie Art der Fehler herausfindet, kann das auf eine Postkarte schreiben und an Loge Luzern, Moosstrasse 26, 6003 Luzern schicken. Er wird eine Überraschung erhalten. Übrigens: Wer CHF 500.- auf das Konto der Loge einzahlt, erhält eine Silikonbüste von sich, die im Schaufenster der Loge ausgestellt wird. Gen Mekka gerichtet, wohlgemerkt.) Back to Bier. Ein Mensch, der Ernst Jünger gelesen hat, kann kein schlechter Mensch sein. Nicht einmal ein schlechter Literat. Dies beweist der Performer mit dem knackigen Kurztext «Dreiliter», angelehnt an einen von Jünger beschriebenen Dissidentengruss aus dem Dritten Reich. Er widmet sich dem böswillig falsch Verstehen und Interpretieren des Gesprochenen. Nach knapp zwei Stunden erlischt das Höhenfeuer der Sprache und Lacher mit dem schönen Lied «Ich hab morgen noch nichts vor ...», in dem Bier als zweiter Mensch (nach Farin Urlaub) in der Geschichte der deutschen Lyrik irgendwas auf Ulan-Bator reimt. Köstliche Unterhaltung auf hohem Niveau und doch nicht allzu anspruchsvoll. Frei nach J.M. Simmel: «Es muss nicht immer Stockhausen sein.»

Bier beehrt Luzern nochmal in diesem Monat und zwar zusammen mit Philipp Scharrenberg: DO 29. April, La Fourmi.