Auch Kleinvieh macht Mist – Elfriede Jelineks «Die Kontrakte des Kaufmanns». Eine Wirtschaftskomödie am Luzerner Theater

Mittelmass, einmal mehr! Mittelmass im besten Sinn: nicht steif und manieriert elitär, nicht plump und anspruchslos, nein, famos und anregend unterhaltend wird Elfriede Jelineks «Kontrakte des Kaufmanns» am Luzerner Theater aufgeführt (Regie: Isabel Osthues). Eindrucksvoll, wie die sperrige Sprachakrobatik – die vermeintlich primär dem Kapitalismus auf die Finger klopft – bekömmlich serviert wird.

(Bilder: Toni Suter/zvg)

Vordringlich ist das Werk der umstrittenen Nobelpreisträgerin eine Komödie über die Natur des Menschen. Die ist bekanntlich – trotz allen ideologischen Gegenbeteuerungen – vielseitig, damit durchaus auch böse; wenn man sich um die Kategorien «Gut» und «Böse» bemühen will. Und nicht genug, sie kann und ist des Öfteren von niederen und niedersten Instinkten geleitet. Neid, Gier und Missgunst sind nicht selten die Dompteure unserer Handlungen. Oder gar schlimmer – schenken wir einem anderen österreichischen Denker glauben – sind wir gar nicht Herr im Haus des eigenen Ichs; den Launen und Kapriolen von unbewussten Kräften ausgesetzt. Ausgehend von dieser leidlich bekannten Prämisse und angeregt vom «Meinl-Skandal», der in Österreich grosse Wellen warf und einige tote Fische (viele kleine und zumindest einen angeschlagenen grossen) zurückliess, sah sich Jelinek offenbar berufen, den Fokus zu weiten und die beiden Ausgangspunkte in einen gesellschaftlichen Gesamtkontext zu setzten. Der «Meinl-Sakandal» steht für Julius Meinl, einen selbstgefälligen Spross einer Unternehmerfamilie mit ebendiesem Namen. Dieser hat mithilfe eines raffinierten Konstrukts von Anlagemöglichkeiten und nicht zuletzt auch dank dem guten Ruf, die seiner Familie in Österreich zuteil ist, hunderte von Kleinanlegern dazu gebracht, ihre wenigen Ersparnisse ihm anzuvertrauen. Das Ganze ging in die Hosen, das Geld ist nun unwiederbringlich weg. Im Theatersaal bekommen die grossen Fische auch ihr Fett ab. Aber nicht nur die, auch die Zuschauer, die wohl als Klasse der «intellektuellen Speerspitze» herhalten müssen, werden immer wieder angesprochen und verhöhnt. Den «kleinen Mann von der Strasse» nimmt Jelinek – und hier sträubt sie sich in sympathischer Weise gegen vorherrschende linke Verklärungen – ebenso in die Verantwortung für die Perversionen unserer Wirtschaftsordnung.

Es sei hier erlaubt, für einmal das Pferd von hinten aufzuzäumen: Als die Aufführung am Samstag vorbei war und Dominique Mentha einige Worte an das Premierenpublikum richtete, meinte er, es sei gelungen, ein stimmiges und gut eingespieltes Schauspielerensemble zusammenzuführen. Wahrhaft, diesen Worten kann nur beigepflichtet werden: In dieser Besetzung sind deutliche Ansätze eines eigenen Ensemblecharakters zu sehen. Es ist ein Freude, mit welcher Vertrautheit und Leichtigkeit die Schauspieler auf der Bühne agieren. Dies ist eine fast notwendige Bedingung, um die doppelbödige, teilweise an die Musikalität grenzende Sprache Jelineks die nötige Wirkung zu verleihen. Ihre Sprache entlarvt meisterlich in der an die Heilsgeschichte angelehnten Rhetorik, die Allmachts- und Grössenwahn-Phantasmagorien einer selbst ernannten Elite. Mit grossem Raffinement wird hier die Terminologie des Wirtschaftsdiskurses mit Sprachbildern von Leiblichkeit und Leben durchwoben. Nicht selten wird Leben mit Geld gleichgesetzt. Mit Nachdruck legt Jelinek den Finger auf eine schwelende Wunde unserer Zeit. Abgesehen von wenigen Längen wirkt das Schauspiel durchdacht gestaltet; immer wird dem Zuschauer Raum und Zeit gelassen, die Worte mit Bedacht zu sortieren und zu verstehen. Die Schauspieler mimen ihre Rollen mit der in Wirtschaftskreisen eigenen Mischung aus Arroganz und Servilität. Die attraktive Bühne (Michael Böhler) unterstreicht die Mär von der «schöpferischen Zerstörung» und hilft, die hermetische Vorlage sprichwörtlich spielerisch aufzulockern. Gleichzeitig wird so auch der Kreis der Trias von Theater, Wirtschaft und der Jelinekeschen Sprache geschlossen, die allesamt durch den Begriff des Spiels firmiert sind. Die sich verselbständigende Logik des Marktes bringen die grossen Nullen auf der Bühne zum Ausdruck, die mal durch unterschiedliche Beleuchtung ein groteskes Eigenleben beginnen, mal durch götzenähnliche Darstellung die Gleichsetzung mit Gott verraten lassen. Die offensichtliche Doppeldeutigkeit auf den Punkt bringt die Szene, in der Samuel Zumbühl mit einem aalglatten Lachen versucht, den Zuschauern den Würfel, der ihnen mit der Sechs zugewandt ist, als grösstmöglichen Gewinn zu verkaufen. Obwohl doch jeder weiss, dass eine andere, tiefere Zahl nach oben zeigt ... Was soll nun gelten? Die vermeintliche Opfer-Täter-Relation wird von Jelinek kräftig durchgeschüttelt; ist doch jeder selbst schuld, der sich solche (Würfel-)Geschäfte andrehen lässt! So sind auch Herr und Frau Biedermann auf der Anklagebank, die der Illusion unterliegen, dass ihnen vom grossen Kuchen auch ein paar Brotsamen zufallen. Damit übernehmen sie munter ihren Part im Spiel.

Bis 18. Juni 2011 im Luzerner Theater Isabel Osthues (Inszenierung), Michael Böhler (Bühne), Mona Ulrich (Kostüme), Bernd Isele (Dramaturgie). Mit Wiebke Kayser, Bettina Riebesel, Christian Baus, Jörg Dathe, Jürg Wisbach, Samuel Zumbühl