Apéro

Wojtek Klemm inszeniert am Luzerner Theater «Der Besuch der alten Dame», eine tragische Komödie von Friedrich Dürrenmatt. Ein anregendes Unterfangen.

(Bilder: Tanja Dorendorf/zvg)

Ach, Dürrenmatt muss einem leidtun! Wird der Blick auf sein Werk doch von einem vermeintlich grösseren Berg überragt: Max Frisch, dieser Hans-Dampf-in-allen-Gassen, dessen intellektueller Horizont bei sich anfängt, um schliesslich wieder bei sich selbst anzukommen. Dieser Frisch hat die ganze Welt abgespult und ist dabei immer bei sich geblieben. Wie sympathisch selbstironisch wirkt da der Satz von Dürrenmatt, dass für ihn das Ausland «bereits jenseits von Ligerz» beginne. Leid muss einem F. D. vor allem tun, weil er nun politisch vereinnahmt wird. Roger Köppel – Verleger eines Magazins für frustrierte Männer – zog Dürrenmatt neulich für seinen kruden Isolationismus als Zeugen herbei. Aber auch Klemms Inszenierung haftet politische Schlagseite an – hier allerdings die gegenteilige. Das soll Klemm gar nicht genommen werden. Nur bleibt die Luzerner Fassung solcher Art ein Ausschnitt der Ahnung vom Ganzen. Was die schauspielerische Leistung anbelangt, wird an die letzte Kritik angeschlossen: Im Ensemble ist mehr und mehr ein Charakter zu erkennen. Bei den Schauspielern ragt Daniela Britt hervor, die als Saba ihre Fähigkeiten zur Blüte bringt. Ein Versprechen für die Zukunft ist Mario Fuchs (Pfarrer), der mit Fortschreiten des Stücks sein Können unter Beweis stellte. Komisch ist die Besetzung von Claire Zachanassian (Agnieszka Podsiadlik), die zwischen polnisch und deutsch changiert. Die Güllener Hinterwälder verstehen am Anfang nur Bahnhof, bis sie dann von Saba – Mittlerin, Mentorin, Sklavin von Zachanassian – zu verstehen bekommen, dass die Alte die Milliarde springen lässt. Plötzlich versteht man sich prächtig: Die frömmlerische Güllener Anbiederei schlägt um in blinde Servilität.

Die gelben Schuhe, die in Luzern das letzte Mal bei einem Protest zu sehen waren, werden umschifft; die neuen Hüllen (wie aus einer Swiss-Personalkollektion entliehen) verdeutlichen den inneren Verrat. Überflüssig sind die zahlreichen Wiederholungen: In einer Szene werden mehr als ein Dutzend Teller zerschlagen, nur um darzustellen, dass von nun an das Geschirr zwischen dem Zauberhexchen und dem Ill endgültig zerbrochen ist. Interessanter sind die subtilen Sticheleien gegen die Schweizer Seele: Parodiert wird da beispielsweise das leise Husten, das verschlucken soll, was alle aussprechen möchten. Oder der Apéro, der in eine gierige Fressorgie ausartet, bei dem man trotz versprochenem Geldregen lieber unter sich bleiben möchte. Die Güllener bleiben unter sich, wollen Zuschauer sein, wie es die Bühne (Magdalena Gut) hervorragend arrangiert. Die unzweckmässige Brücke in die Welt wird gekappt; endlich bunkert man sich sogar ein. Trotz den imposanten Stimmungen, die auch dank der überwältigenden Geräuschkulisse (Musik: Martin Baumgartner) zustande kommen, wirds auf das Ende hin noch einmal leise, tragisch-komisch. Für die angereiste Presse wird an der Gemeindeversammlung eine fingierte Abstimmung durchgeführt. Unter dem Deckmantel der Ausübung eines demokratischen Rechtes wird hier erbarmungslos Rache genommen ...

Bis DI 6. März, Luzerner Theater