Jazzspass und eine Klang-Karawane

Altdorf, Freitag, 16.8.2013: Das Internationale Musikfestival Alpentöne gibts seit 1999 im Zweijahrestakt. Die heurige Ausgabe bringt wieder vieles zusammen, was zusammengehören kann, Urbanes mit Ruralem, Volkstümliches mit E-Tönen und Jazz. Ein Ausläufer des Festivals ist am Sonntag in Luzern zu erleben.

(Bilder PD/Alpentöne 2013)

Die lieben Gäste ganz am Anfang haben schon eine schöne Wegstrecke hinter sich. Projektname: «Ton&Tal». Eine Kooperation zwischen Alpentöne und dem Festival Neue Musik im Baselbieter Rümlingen. In dieser Grossdimension hat man es vermutlich noch nie gesehen und gehört: Ein Trupp von hochkarätigen Musikerinnen (2) und Musikern plus Schriftsteller Tim Krohn («Einsiedler Welttheater») tourt durch die Schweiz, von Airolo bis August, zehn Tage lang. Geht dabei über Berge und durch Täler, spielt in Postautos, Zügen, auf Schiffen, draussen in der Natur, in den Gassen, macht da und dort konzertant Halt. Unbedingt beachten: Sonntag, 18. August, in Luzern, beim  KKL. Da landet das Ton&Tal-Ensemble um 18.00 Uhr mit seinen Nauen, wird vom KKL her mit Strauss-Melodien begrüsst, zieht durch die Stadt, in den Stadthaus-Park, spielend oder bespielt werdend, um am Abend im «Mulllbau» anzukommen. Es geht dann am Montag weiter über den Pilatus ins Obwaldnerland, ins Entlebuch, auf den Napf hinauf und am Schluss eben nach Augst BL. Der detaillierte Tour-Plan findet sich hier. Zu bieten hat «Ton&Tal» einen Mix aus Neuer Musik, Volkstümlichem, Jazz und viel Improvisation. Das Unternehmen hat etwas Karnevaleskes, ist aber topseriös, schliesslich machen da Cracks aus den unterschiedlichen musikalischen Sparten mit (Liste hier). Das Urner Teil-Projekt nennt sich «Suoini in Transizione» Beim Tour-Stopp in Altdorf zieht der Trupp zuerst vom Bahnhof in die Gassen. Nicht allein: Zwei marschfähige Blaskapellen aus dem Tessin sind mit im Spiel. Drei Ensembles sind gleichzeitig zugange, auf die Minute genau intonieren sie nach weisem Plan die selbe Melodie. Wir hören dann, mit gewissen Interferenzen aus den Distanzen, das zirzensisch anmutende «Passerella di Otte e Mezzo», genau, Filmmusik aus dem Fellini-Streifen, komponiert von Nino Rota. Und es kommt zum Zusammentreffen aller drei. Im Minutenfahrplan des Unternehmens steht «Klang»: Töne halten, welche die Luft von Altdorf akustisch bereichern. Vor dem Theater (Uri) steht eine ausgewachsene Jahrmarktsorgel, Jahrgang 1911, die, Teil des «Ton&Tal»-Projekt, ebenfalls von Ort zu Ort mitreist. Da ist nicht eigentliche Chilbi-Musig zu hören, sondern eigens neu Komponiertes, Neue Musik (mit grossem n).

Das Ton&Tal-Ensemble spielt auch konzertant drinnen. Im «Schlüssel»-Saal, Kilbi-Musig-Gitarrist Hildi an den Reglern, gibt’s Inszeniertes zum Thema «Flusstöne». Einer nach dem andern kann vorne auf, um oder in bemalte(n) Holzkuben solieren oder aussergewöhnliche Perkussionsarbeit leisten. Tim Krohn, der einzige der nicht unplugged vorträgt (Headset), hat sich vorgängig, bei den letztjährigen Tour-Recherchen, über örtliche Begebenheit kundig gemacht und das Gefundene zu Texten verdichtet. So bringt er die Geschichte, wie ja eigentlich Goethe den «Tell»-Stoff plante, schliesslich scheiterte und das Ganze seinem Dichterfreund Schiller schenkte. Exklusiv bringt Krohn in seinen Lesungen heitere Müsterchen von Goethes verschiedenen Dialekt-Version-Versuchen (von Ürner-Deutsch bis Baselbieter Mundart), voll gefaket natürlich, aber amüsant.

Das Auftakt-Konzert zur aktuellen Alpentöne-Ausgabe bestreiten bayerische Gäste, genauer: welche aus dem Allgäu. Allen voran Matthias Schriefl gefeierter Trompeter aus der Jazz-Punk-Ecke (Band Shreefpunk), der zur Abwechslung im Septett (mit kasachischem Drummer, dem «Usain Bolt des Schlagzeugs»), was dann «Six, Alps and Jazz» heisst – und mit insgesamt fast drei Dutzend Instrumenten Volkstümliches – nein, nicht veräppelt oder gar verjazzt, sondern auf hohem Niveau, das Klamaukige ab und an streifend, mit gewisser Ehrfurcht hervorholt und angenehm respektlos interpretiert. Spassjazz, Jazzspass, die Volksmusik nicht zu vergessen. Heimatliches mit internationalem (jazzigem) Flair. Gesungenes auch. Und komödiantisch moderiert das Ganze. Schriefl kommt barfuss auf die Bühne und ist stilecht in halblange Lederhosen gekleidet (Modell Capri, inkl. Träger). Da sind sie voll ausgespielt, die nicht vorhandenen Berührungsängste zwischen Ernst und Unterhaltung bzw. Jazz und Volksmusik, Hohem und angeblich Niederem. Gegen Schluss verlangt er vom Publikum im vollen Theatersaal (formerly known as Tellspielhaus) «Andacht» und zelebriert einen Meditationsritus. «OM», das Mantra, kommt ein paar Stunden später gleich nochmal. Es ist der Bandname der vier Luzerner, die just in Altdorf einst, anno 1972, debütierten. OM gibt’s seit 1982 eigentlich nicht mehr, aber in den Aktivjahren haben Christy Doran, Urs Leimgruber, Bobby Burri und Fredy Studer Stilbildendes geleistet mit ihrer «Electric-Jazz Freemusic»

Was zum Teufel haben OM mit Alpinem und erst recht an diesem internationalen Musikfestival zu tun? Nicht viel oder halt doch etwas. Ihr einmaliges Altdorfer Programm widmen die vier als Tribut dem 2007 verstorbenen Österreicher Joe Zawinul (Weather Report). OMs Auftritt trägt die Überschrift «In A Silent Mood – ein Tribut an die Alpen, inspiriert von Joe Zawinul». Zawinul war es, der den Titeltrack zu Miles Davis’ Album «In A Silent Way» (1969) geschrieben hatte. Es fängt verhalten an, viele Minuten lang, da wird nur fein gestrichen, leise geblasen und gebeselt, bis jeder mal solistisch hervortritt in diesem – erstaunlich – Sitzkonzert (nur Kontrabassist Bobby Burri steht). Und dann, nach einer Dreiviertelstunde, legen die vier los, tüchtig, was Laien vielleicht als Jazzrock bezeichnen würden. Föhnsturmmässig. Alpentöne, bis So, 18. August 2013