Der Mann, der viel fiel

23. April 2013: Der Spoken-Word-Autor Jens Nielsen stellte in der Loge Luzern Bekanntes und Unveröffentlichtes vor. Eine performative Lesung voller skurriler Figuren.

Ein Mann fällt im Park. Er fällt über Monate hinweg; in der Zwischenzeit lernt er eine Frau kennen und lässt sich vermählen. Dann kommen sich die frisch Verheirateten auf Bodennähe näher. «Wollen wir ein Kind machen?» Und sie machen ein Kind. Der immer noch anwesende Priester flieht entsetzt, der Mann ist wohl am Boden angekommen. Nach nur einer Stunde lässt sich sagen: Das ist ein typischer Jens-Nielsen-Text. Der gelernte Schauspieler hat ein Faible für das Absurde und Verdrehte. Das hat seinen Reiz – solange es nicht überreizt wird.

Ein-Mann-Theater Eigentlich, so wirft Nielsen zwischen zwei Texten ein, schreibe er immer Monologe. «Und dann setzt man einen Titel hin und es wird eine Geschichte.» Entsprechend trägt er oftmals frei vor, verstellt seine Stimme, setzt auf seine ausdrucksvolle Mimik. Auch wenn er vorliest, verliert sich der Schauspieler nicht im Text, sondern bleibt als Figur seiner Geschichte präsent. Von der oftmals ermüdenden Attitüde des gestandenen Autors, und das ist Nielsen nach zwei Büchern und elf Theaterstücken, findet sich bei ihm nichts. Das ist Spoken-Word-Literatur in Reinformat. Ob und wie seine Texte gedruckt funktionieren, weiss man nach dem Abend zwar nicht, aber er macht Lust, sie selber zur Hand zu nehmen. Man wird unweigerlich Nielsen vor dem inneren Auge und Ohr haben.

Das Loch im Text Das theatrale Auftreten kann auch ermüden. Distanz und Innehalten ist seine Sache nicht. Das spiegelt sich im Erzählstil wider, der immer wieder Worte auslässt und Sätze halbfertig abbricht. Über Stil lässt sich streiten, problematischer ist, wie Nielsen manchmal gar angestrengt von Pointe zu Pointe hetzt. Pointen, die ihr Ziel verfehlen können, über die der Text stolpert, anstatt durch sie an Fahrt zu gewinnen. Im Piercingstudio will ein Mann doch eigentlich nur die «Piercing-Meisterin» kennenlernen. Als er sich dann doch auf den Operationsstuhl setzt, geht mit Nielsen der Komiker durch: «Und jetzt still halten – Aua – Ich habe doch noch gar nichts gemacht – Ach so.» Nein, ein guter Kabarettist wäre Nielsen wohl nicht. Als die Piercing-Geschichte am Schluss «ein Happyend mit Löchern» hat, ist dies zutreffender, als dem Autor lieb sein möchte.

Fall ins Groteske Witz kann man ihm trotzdem nicht absprechen. Auf seinem Höhepunkt ist Nielsen, als er vom Hündchen seiner Mutter erzählt. Das liebe Tier wird weiterhin spazieren geführt, wenn es schon tot ist. Stur wird es von seinem Frauchen hinterhergezogen, auch als es nur noch Haut und Knochen hat, auch noch, als der Schädel durch das Halsband rutscht. Das Alltägliche wird vom Grotesken durchbrochen, aufgebrochen, zerfällt wie die Hundeknochen hinter der alten Frau. Der Mann, der fällt, das ist Nielsen selber. Er lässt sich fallen in skurrile Tagträume und absurde Realitätslöcher. Er fällt mit einer Berechenbarkeit, die das Unvorhersehbare leider zum Erwarteten, zuweilen sogar zur Masche macht. Eine vergnügliche Masche immerhin, eine Stunde lang fällt man gerne mit.