Abgelichtet und eingefroren

Historisches Museum, 3.9.2020: #nophotoshop: Früher wurde noch von Hand koloriert und retuschiert. Die Ausstellung «Luzern. Fotografiert: 1840 bis 1975» zeigt Luzerner Fotografie und damit den Kanton selbst im Wandel.

Titelbild: Emil Götz / ZHB Luzern Sondersammlung

Sie ist unser täglicher Begleiter, immer mit dabei in der Tasche oder im Rucksack. Wir nutzen sie dazu, uns selbst und andere zu porträtieren, Landschaften einzufangen und flüchtige Momente zu verewigen. Die Fotokamera, eingebaut im multifunktionalen Smartphone. Hunderte, gar tausende Bilder tragen wir täglich mit uns herum. Doch das Foto vom Feuerwerk an Silvester, das wir damals mit solcher Begeisterung aufgenommen haben, ist genauso in der Masse untergegangen, wie jenes des Sonnenuntergangs vor ein paar Wochen.

Das war nicht immer so. Vor knapp 180 Jahren wurde das Einfrieren eines Augenblicks fast mit Magie gleichgestellt. Wer ein Familienporträt besitzen wollte, musste einen Termin mit dem Fotografen vereinbaren, der dann mit seiner Grossformatkamera anreiste. Die Prozedur kostete ein kleines Vermögen. Kein Wunder, dass auf den im historischen Museum ausgestellten Porträts so gut wie niemand lacht. Fotografie war etwas Ernstzunehmendes.

Die Fotografie verbreitete sich im 19. Jahrhundert weltweit. Auch in Luzern waren die Menschen begeistert von der modernen Technik. Betritt man die Ausstellung «Luzern. Fotografiert: 1840 bis 1975» im Historischen Museum, steht man plötzlich in einem Raum voller Ablichtungen von Menschen, Landschaften, Gebäuden, aufkommendem Tourismus, Gewerbe und Industrie aus dem Kanton Luzern.

Ausstellungsansicht mit Vitrinentisch, im Vordergrund Fotos von Theo Frey © Historisches Museum Luzern
Ausstellungsansicht mit Vitrinentisch, im Vordergrund Fotos von Theo Frey (Historisches Museum Luzern).

80 Fotograf*innen werden ausgestellt, die im Kanton Luzern während 135 Jahren gewirkt haben – alle vor der Erfindung der Digitalfotografie. Damit die Bildgeschichte Luzerns nicht wieder in Vergessenheit gerät, veröffentlichten das Historische Museum und Kurator Markus Schürpf eine Begleitpublikation zur Ausstellung im Badener Verlag Hier und Jetzt.

Gleich beim Eingang sind alte Bilder der Stadt zu sehen. Das Betrachten der Abbildungen fühlt sich an wie ein «Finde-die-Unterschiede-Spiel». Stellen Sie sich zum Beispiel die Rigi vor. Die bekannte Form und zuoberst die Antenne. Im Historischen Museum hängen Bilder, da sieht die Rigi ganz nackt aus. Die Nadel wurde erst 1964 auf der Bergspitze errichtet. Vor 25 Jahren wurde sie durch eine Swisscom-Antenne ersetzt, die bis heute zuoberst thront.

Ein anderer Berg hat eine Besucherin sogar zu Tränen gerührt, wie Projektleiterin Marisa Sigrist erzählt. Eine ältere Dame mit Schlapphut, habe ganze zwei Stunden in der Ausstellung verbracht. Den Lift hatte sie gekonnt ignoriert und war zu Fuss über die Treppe ins zweite Stockwerk gelangt. «Als sie mit feuchten Augen zurückkam, fragte man sie, ob es ihr nicht gut ginge. Darauf antwortete die Dame, dass ein Bild des Bürgenstocks sie an ihren ersten Schatz erinnert habe. Die beiden hätten sich damals ohne zu zahlen in den Lift geschmuggelt und, oben angekommen, miteinander herumgeschmust», erzählt sie. Fotografie sei eben ein Medium, das bewegt, ergänzt sie lächelnd.

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Luzerner Sehschule der Augenklinik des Kantonsspitals, Luzern, 1961. Bild: Lisa Meyerlist / Staatsarchiv Luzern

In der Ausstellung finden sich mehrere technische Höhepunkte, zum Beispiel die begehbare Camera obscura, ein dunkler Raum mit einem kleinen Loch in der Wand, durch welches Licht einfällt und ein umgedrehtes Bild auf der gegenüberliegenden Seite des Raums entstehen lässt. Das darin enthaltene Prinzip der Lichtbrechung kannte schon Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christus. So nimmt auch der Mensch die Welt wahr: Unser Auge sieht eigentlich alles auf dem Kopf, aber unser Gehirn dreht dieses verkehrte Bild wieder um.

Einen zweiten dunklen Raum betritt man mit 3D-Brille. Hier sind sogenannte Stereoaufnahmen zu betrachten. Schaut man durch die Brille, wird aus zwei Glasplatten ein dreidimensional wirkendes Bild. So fühlt man sich wie ein*e Fussgänger*in im Luzern vergangener Zeiten.

Stereofotografien © Historisches Museum Luzern / Priska Kettere
Stereofotografien, Bild: Priska Ketterer / Historisches Museum Luzern

Gezeigt werden Stadt und Land, Menschen und Maschinen, Berge und Bauern – einige Fotografien sind gar während der Ausstellungsrecherchen ganz neu entdeckt worden. Sie stammen aus einer Kartonschachtel, die Kurator Markus Schürpf zufällig im Museumsarchiv des Entlebucherhauses in Schüpfheim fand. Diese Schachtel entpuppte sich als wahre Goldgrube voller unentdeckter oder vergessener Luzerner Geschichten aus einer Zeit, in der Fotografie noch etwas Greifbares war. Etwas Neues, das mit viel Aufwand und Präzision verbunden ist. Heute tragen wir unsere fotografischen Erinnerungen digital mit uns herum und können jederzeit neue festhalten. Da stellt man sich die Frage, wie wir in 150 Jahren Bilder schiessen werden. Mit einem Blinzeln der Augen? Vielleicht. Fest steht: Das Medium Fotografie ist bestimmt noch nicht zu Ende entwickelt.

«Luzern. Fotografiert: 1840 bis 1975»
Bis 27. September
Historisches Museum, Luzern

Stadtrundgang zu historischen Schauplätzen der Fotografie
SA 5. September, 09:30 bis 11:30 Uhr
Besammlung: Hertensteinstrasse 2, Luzern
Anmeldung erforderlich