Zündendes Düster

«Worte Gottes» von Ramón María del Valle-Inclán ist seit Freitag im Luzerner Theater zu sehen. Ein wuchtiges, katholisches, auch bigottes Stück – in der Inszenierung von Andreas Herrmann –, dessen Faszination man sich schwerlich entziehen kann.

(Bild: Ingo Höhn/zvg)

Luzerner Theater, 2.3.2012. Pedro Gailo, der Küster von San Clemente (Jörg Dathe), der eben von seiner Gemahlin Mari-Gaila (Wiebke Kayser) mit dem Rumtreiber Septimo Miau (Hans-Caspar Gattiker) betrogen wurde, dieser Küster steht vor dem versammelten Dorfmob, der nach Bestrafung verlangt, und spricht Jesu Worte: «Qui sine peccato est vestrum, primus in illam lapidem mittat» («Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.»). Die Meute verzieht sich beschämt. Dies ist die Schlussszene des Stücks «Worte Gottes« des Galiziers Ramón María del Valle-Inclán (1866–1936), in dem einige Kritiker ein spanisches Äquivalent zu James Joyce sehen, und der die Schreib- und Bühnenkonventionen seiner Zeit radikal verändert hat. Eine dörfliche Tragikomödie ist «Worte Gottes», die von der mystisch-katholischen Eröffnung bis zum Ende gut zweieinhalb Stunden später überzeugt und in Bann zieht. Selten ist die Zeit im Luzerner Theater so schnell vorbeigegangen. Und selten klang so viel nach.

Gemeinhin gelten die Stücke von Valle-Inclán, der ein Meister ist darin, die dunklen Seite des Menschlichen abzubilden, als unaufführbar. Deshalb ist er im deutschsprachigen Raum ein weitgehend Unbekannter. Obwohl in den frühen 1990er-Jahren in Berlin eine kurze Renaissance einsetzte. Neben den ausschweifenden Schilderungen der Plätze und inszenatorischen Anweisungen, wie auch der episodenhaften Struktur, ist «Worte Gottes» äusserst personalintensiv. Zu den Mitgliedern des Ensembles des Luzerner Theaters gesellen sich 18 Laien aus verschiedenen Luzerner Theatergesellschaften. Eine Referenz an die lebendige Dorftheaterkultur in katholischen Gebieten, wie man sie im Kanton Luzern wie in Galizien findet. Die Fallhöhe zwischen Laien und Profis ist auf hohem Niveau gross. Was nicht gegen die Profis spricht. Die Handlung ist Kulisse für die Atmosphäre, die drückend, beklemmend gut inszeniert ist, was u. a. auch Martin Baumgartners raffiniertem Sound-Design geschuldet ist: Juana del Reina (Mariella Pfyffer) stellt ihren behinderten Sohn Laureano (Samuel Zumbühl), von dem im ganzen Stück nur als «Krüppelchen» die Rede ist, auf Jahrmärkten aus und verdient damit gutes Geld. Bald stirbt sie, und ein Streit um den lukrativen Krüppel entbrennt. Die erbberechtigten Parteien einigen sich, ihn nach Wochentagen zu teilen. Mari-Gaila haut schliesslich mit ihm ab und schliesst sich dem fahrenden Volk an. Der Mann, alleine mit der Tochter Simonina (Juliane Lang) daheim gelassen, kocht vor Eifersucht, wetzt das Messer, schmiedet Mordpläne. Derweil wird dem «Krüppelchen» von einer Gruppe Besoffener so lange Schnaps eingeflösst, bis es tot ist. Im dritten Akt kehrt Mari-Gaila mit dem Toten nach Hause. Ihre Tochter weist sie an, des Nachts die Leiche ihrer Schwester Maria del Reino (Bettina Riebesel) vor die Tür zu legen, die solle für die Beerdigung aufkommen. Am Morgen haben Schweine dem armen «Krüppelchen» das Gesicht zerfressen. Die Schwester bringt es wutentbrannt zurück, und so wird der Tote nochmal aufgebahrt und Tochter Simonina erbettelt das Geld für die Beerdigung. Währenddessen taucht Mari-Gailas Liebhaber auf und das Stück mündet in der Schlussszene. Das Leben geht weiter. Niemand hat irgendwas gewonnen. Niemand hat irgendwas gelernt. Niemand ist wirklich sympathisch. Das Desolate, die Bigotterie schiessen den Szenen einen ganz eigenen Humor hinzu. Das Stück zeigt, es moralisiert nicht. Und es zeigt virtuos! Bei «Worte Gottes» wurde Hand in Hand gearbeitet: Das ausgeklügelte Bühnenbild (Max Wehberg), die Kostüme (Sabin Fleck), die beschwördende Musik (Alan Bern) tragen ebenso viel zur Atmosphäre – die das Stück ausmacht – bei, wie Valle-Incláns grandiose Figuren und die Schauspieler, die sie verkörpern.

Bis 29. April, Luzerner Theater.