Wozu noch Kunst machen?

Südpol, 16.03.2017: Sie leide an einer aufkommenden Grippe. Der Rauch und ein kalter Luftstrom würde diese ungemein fördern. Damit begrüsste Big Zis das kleine Publikum im Südpol Club. Und jetzt noch Kunst machen?!

Aber unbedingt! Mit Biss!

Die «bekannteste Rapperin der Schweiz» (NZZ, 2009) kann doch nicht kneifen. Das fernbleibende Publikum tut es schon für sie. Zirka 30 ZuschauerInnen erleben ein Experiment mit Big Zis, Julian Sartorius, Domenico Ferrari und Beni06. Sie präsentierten den dritten und letzten Abschnitt der EP-Reihe 819 215, ein Werk rund um die Zürcher Rapperin und Mutter. Zudem ist die Rede von einem neuen Album, von welchem Kostproben serviert wurden.

MusikerInnen sind auf der EP-Reihe 819 215 immer wieder andere anzutreffen. In der Live-Konstellation dieses Konzerts steht der Sound dem Text gleichrangig gegenüber. Die drei Instrumentalmusiker verbinden dabei ihre unkonventionellen Instrumentarien zu einem sphärischen Kraftpaket: Groove mit Biss. Wohlgemerkt: Alles improvisiert, wie Zis und Sartorius im 3FACH-Interview verraten. So sind es vier längere Blöcke und eine Zugabe, welche abwechslungsreich präsentiert werden. Die Schwierigkeit, einerseits gebunden an Groove und Thema zu sein aber gleichzeitig, nicht zu wissen was als nächstes kommen soll, wird nur zweimal spürbar. Es fehlte zu diesen Zeitpunkten die Initiativkraft.

Rhythmisches Radiofrequenzrauschen & Sound-Table-Spielereien

Ob rhythmisches Radiofrequenzrauschen und Keyboard-Basslinien von Beni06 oder elektronische Spielereien vom Sound-Table à la Ferrari: Der Schlagzeuger Julian Sartorius sitzt im instrumentalen Zentrum. Seine Beats bestimmen das Geschehen, und wie man ihn kennt, geschieht einiges. Allerlei Gegenstände, die effektreich Klänge produzieren, landen bei ihm auf den Trommeln und verweben sich zu melodiösen Patterns. Die drei Herren scheinen anfangs etwas von der Grippe abgekriegt zu haben und kommen noch nicht so recht in Fahrt. Während des ersten Songs erholten sie sich aber bereits wieder und legten beim zweiten richtig los. Und Big Zis steht mittendrin. Sie lässt ihren Mitmusikern grossen Spielraum. Präsent, aber dezent unterstützte sie nicht nur sprechend, sondern auch stotternd und schreiend. Auch ihre Passagen schienen gezielt improvisiert zu sein.

«Ist das noch populär?!»

Die Texte sind nahe am Leben und doch abstrakt. «Leben ist lifestyle», wiederholt sie gebetsmühlenartig wie eine Werbefigur im Fernsehen. Es sind keine aktuellen Anprangerungen und doch konkrete Aussagen. «Ist das noch populär?!», schreit Zis und hebt sich damit vom Rap der bösen Jungs ab, der eben populär ist. «Beweg deinen Arsch, Baby», ist dementsprechend auch nicht so zu verstehen, wie es der Macho-Rap meinen würde. Diese Selbstironie und der Witz in ihrer Sprache und nicht zuletzt eine charmante Art, ihr Ding durchzuziehen, machen sie zum Pünktchen auf dem i der ungehörten und kraftvollen Musik.

Nein, Big Zis ist keine gewöhnliche Rapperin, auch sind ihre Bandmitglieder an diesem Abend keine gewöhnlichen Musiker, noch ist dies eine gewöhnliche Hip-Hop-Formation. Wozu noch Kunst machen? Um die Gewohnheiten den Realitäten anzupassen. Um die Welt stets neu zu bedenken. Und um mit der Welt umzugehen. Big Zis rappt es vor: «Ich schwör, mer gwöhnt sech a alles.»