Wir liegen alle in der Gosse und voller Sterne ist die Welt – Die Früchte des Zorns im Sedel

Die Berliner Band Früchte des Zorns beehrte auf ihrer Schweizer Tour auch den hiesigen Sedel. Dem einigermassen zahlreich erschienenen Publikum wurde ein emotionales Konzert geboten, mit politischen Untertönen, Schwatz- und Rauchverbot.

Früchte des Zorns ist ein linksautonomes Kollektiv. Ihre Musik ist die Poesie der Subversion. Ihre Texte die Subversion der Poesie. Radikal emotional, mal träumerisch, mal brachial. Mal lyrisch, mal banal. Stets betroffen machend, zum Nachdenken und Handeln anregend. Es begab sich in einer Hütte am Fusse des Monte Lema, spätabends. Wir waren alle bereits ein wenig beschwingt von diversen flüssigen und pflanzlichen Erzeugnissen, redeten Schwachsinn, wild durcheinander. Irgendwann war die Pink-Floyd-CD – hört mal bei «We don't need no education» genau hin, sie singen tatsächlich «hol ihn, hol ihn unters Dach» – fertig, und irgendwer legte was andres ein. Es begann mit: «Ja ich will leben, will nicht nur atmen. Nein ich will brennen und es gibt nichts zu verlier'n...» Augenblicklich verstummten alle, und bis das Album endete, sagte keiner mehr was. Andächtig sassen wir da, lauschten den Melodien, den Texten. Ich glaube wir waren nie wieder so still, wenn wir beisammen sassen wie damals, zwischen den Reben am Fusse des Monte Lema, zu den Klängen von «Zwischen Leben und Überleben», dem ersten Album der Früchte des Zorns – der Name entstammt übrigens einem Buchtitel des amerikanischen Autoren John Steinbeck. Irgendwie begleitete mich die Band, obschon ich sie nicht all zu oft bewusst hörte, durch die wichtigsten Stationen meiner Jugend und deshalb bin ich wohl voreingenommen, bei dieser Kritik. Auf jeden Fall kamen all diese schönen, traurigen oder schmerzhaften Momente gestern Abend Lied für Lied wieder hoch, zogen wie Filmstreifen an meinem inneren Auge vorbei. Wunderschön erschütternd.

Das Kollektiv, bestehend aus Mogli (Akustische Gitarre, Gesang), Anke (Geige, Bratssche, Posaune, Gesang) und Hannah (Schlagwerk, Gesang), beginnt um ca. 22 Uhr mit dem perfekten Opener «Brennen». Da die Band unverstärkt spielt, wird gebeten während den Liedern nicht zu sprechen. Auch das Rauchen ist strikte untersagt, da die Musiker ihre Stimmen schonen wollen. Von oben dringt von Zeit zu Zeit dumpfer Stoner-Basssound hinunter, was Mogli zur Aussage verleitet, sie würden die Gage mit der Band, die über dem Konzertraum probt, teilen. Alles in Allem stört es eigentlich nur während der kurzen Pausen, da es die Ansagen schwerer verständlich macht. Vor «Unser Haus» einem Solitrack, gibt es eine kurze Solidaritätsbekundung mit den Aktivisten eines besetzten Hauses, das irgendwo in Deutschland geräumt wurde. Auch in Luzern war letzen Freitag – Karfreitag – die letzte Nacht der Besetzung in der Hofstrasse. Das Haus ist heute bereits abgerissen. Die Freiräume werden immer weniger, in unsrer schönen Stadt. Der vorerst letzte Song ist «Das Herz ist ein Muskel in der Grösse einer Faust», der eigentlich alles zusammenfasst, was es zu sagen gibt. Nach der Zugabe «In meinem Kopf ist eine Bombe» ist dann engültig aus, vorbei. Was bleibt, sind ein paar verpatzte Anfänge, der Charme des Unperfekten, der den Abend vollendet. Die Erinnerung an eine sympathische, authentische Band mit grösstenteils fabulösen Songs und die Frage an die VBL, wann der Sedel endlich ÖV-mässig erschlossen wird. Beim Südpol ging's ja auch ratzfatz... «Unser Haus»: Unser Haus «Das Herz ist ein Muskel in der Grösse einer Faust»: «Das Herz ist ein Muskel in der Grösse einer Faust» «In meinem Kopf ist eine Bombe»: «In meinem Kopf ist eine Bombe»