Wieso kurz wenn's auch lang geht?

Wirtschaftshochschulbibliothek Luzern, 10.12.2014: Gestern Abend fand in der Wirtschaftshochschulbibliothek an der Frankenstrasse die Buchvernissage zu Elisabeth Zurgilgens «Kein Land für alte Frauen» statt. Ein kurzer und trotzdem langatmiger Abend.

«Es geht mir um das Erzählen, irgendetwas erzählen. Und dazu braucht man nicht Riesenereignisse, dazu braucht man nur Buchstaben und Sätze.» – Peter Bichsel Schlicht und einfach Einfachheit und Schnörkellosigkeit – das sind Qualitäten, die nicht nur Peter Bichsels literarisches Schaffen wie einen roten Faden durchziehen, sondern den Geschichten Elisabeth Zurgilgens paradigmatisch zugrunde liegen. Weder geht es Zurgilgen darum, Geschichten aus penibel zurechtgestutzten Wortgebilden zu konstruieren, noch will die Geschichtenerzählerin wortakrobatische Seiltänze vollführen. Vielmehr sind Zurgilgens oftmals auf Mundart geschriebenen Texte im Alltäglichen beheimatet – sowohl formal, als auch inhaltlich. Auf formaler Ebene offenbart sich diese Affinität zum Alltäglichen im «mündlichen Duktus». Mit dieser Eigenart hat der Schauspieler und langjährige Freund Zurgilgens, Hanspeter Müller-Drossart, gestern Abend im Gespräch mit der Autorin deren Schreibstil benannt. Auf inhaltlicher Ebene dagegen zeigt sich diese Hinwendung zum Alltäglichen in der quasi anti-dramatischen Banalität der Geschichten Zurgilgens. Anstatt die Welt mit bewegenden Texten verändern zu wollen, anstatt den moralischen Zeigefinger zu erheben, in menschlichen Abgründen zu wühlen oder mit Zivilisations- und Gesellschaftskritik aufzuwarten, kapert die Autorin ihre LeserInnen und ZuhörerInnen mit schlichten und zugänglichen, wegen ihrer Leichtverdaulichkeit keineswegs aber belanglosen Geschichten. Keine Spur von Tamtam und Theatralität ist in ihren Texten herauszulesen oder herauszuhören. Unmittelbarkeit und Eingängigkeit zeichnen die knappgeratenen Geschichten der Autorin aus. Leider fehlte in den gestern Abend von Zurgilgen vorgelesenen Auszügen aus ihrem Roman «Kein Land für alte Frauen» diese Unmittelbarkeit, die ihren Texten erst die überlebensnotwendige Brisanz einverleiben würde. Ist dieses Manko darauf zurückzuführen, dass der Roman auf Hochdeutsch geschrieben und von Zurgilgen daher auch auf Hochdeutsch vorgelesen wurde? Musikalisch umrahmter Erzählabend zwischen Buchregalen Die 59-jährige Obwaldnerin publiziert seit 34 Jahren, schrieb zahlreiche Kolumnen, Reportagen, Porträts, Hörspiele, Musicaltexte und Geschichten. Zudem ist sie an der Hochschule Luzern Wirtschaft als Professorin für Kommunikation tätig. Seit 1997 kennt man Zurgilgens Stimme aus den «Morgengeschichten» des Radiosenders SRF1. «Kein Land für alte Frauen» ist zwar nicht der erste Roman, den die Autorin geschrieben hat, wohl aber ihr erstveröffentlichter. Dementsprechend nervös ging Zurgilgen mit Headset ausgestattet die Regale der Bibliothek auf und ab, während Richard Koechli vom grellen Neonröhrenlicht geblendet die Buchvernissage mit bluesiger Gitarrenmusik und Kettenraucherstimme eröffnete. Es folgte ein à la Äschbacher geführtes Gespräch Müller-Drossarts mit der Autorin. Trotz einigen belanglosen Fragen, wie etwa jener nach der Bedeutung des Namens «Zurgilgen» oder der Frage, ob die Autorin vor der Wiederholung von Themen keine Angst habe, entlockte Müller-Drossart Zurgilgen auch einige interessante Informationen über ihr schriftstellerisches Arbeiten. Beispielsweise bekannte Zurgilgen, dass ihre Geschichten nicht beim Drauf-Los-Schreiben auf ein weisses Blatt Papier entstünden, sondern diese zuerst in ihrem Kopf Gestalt annähmen und erst dann verschriftlicht würden. Roman mit vielen Kurzgeschichten Elisabeth Zurgilgens Debutroman mit dem prägnanten Titel «Kein Land für alte Frauen» handelt von Lea Pfister, einer 60-jährigen Texterin einer Werbeagentur, welche in die Frühpension geschickt wird. Im Hotel «Alpen-Orient» soll sie, so lautet ihr letzter Auftrag, als Geschichtenerzählerin auftreten. Trotz den kaum bestreitbaren Parallelen zwischen der fiktiven Protagonistin und ihrer Autorin, beteuert Elisabeth Zurgilgen, verkörpere Lea Pfister nicht sie selber. «Kein Land für alte Frauen» ist nicht ein aus diversen Kurzgeschichten zusammengestampfter Roman, sondern in ihm selber kommen viele Kurzgeschichten, auch solche aus «Morgengeschichten», vor. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die Autorin, wie sie bei Regionaljournal Zentralschweiz gestand, nicht das ganze Jahr an einem Roman arbeiten könne. Es ist zu bedauern, dass man die nahbare Erzählstimme Zurgilgens, die man im Obwaldner Dialekt sprechend aus dem Radio kennt, in den gestern Abend vorgelesenen Auszügen aus dem Roman, vergeblich herauszuhören versuchte. Aufgrund dieses Mangels an Nahbarkeit ermangelte es dem Vorgelesenen überdies an lebensweltlicher Authentizität. Hatte die Autorin etwa vor Aufregung, keine Fehler zu machen, vergessen die Stimme auf Erzählmodus umzudisponieren oder war es das Schriftdeutsche, das eine unüberbrückbare Kluft zwischen der Autorin und dem an der Buchvernissage anwesenden Publikum schuf? Genau an dieser Stelle liesse sich fragen, weshalb sich die Autorin dafür entschieden hat ihren Roman in schriftdeutscher Sprache zu schreiben und auch dafür, die literarische Langform der schriftlichen Dichtung – die Romanform – zu wählen. Schliesslich liegt die Potenzialität von Zurgilgens Kurzgeschichten gerade in ihrer Reduktion aufs Wesentliche und darin, dass sie in Mundart geschrieben stehen.