Wenn Worte nicht mehr reichen – The Notwist im Südpol

Alle waren sie da, um einer wahrhaft grossartigen Band zu lauschen. Das Konzert von The Notwist aus Süddeutschland war ein Erlebnis sondergleichen. Ein hoffnungsloser Erklärungsversuch in Worten.

Der Beginn war «Boneless», diese Perle von Lied. Gänzlich unprätentiös stieg die auf sechs Mitglieder erweiterte Band auf die Bühne der grossen Halle im Südpol. Sie waren gekommen, um nichts Anderes als die grossartigste Musik zu spielen. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Viele folgten ihnen, die grosse Halle war total ausverkauft, aber ein Gedränge herrschte angenehmerweise nie. Bereits zuvor bei Marygold hatte sich eine schöne Schar Leute angesammelt. Philipe Burrell und Patrik Zosso spielten in der Light-Version, dies nicht zum Nachteil der elektronisch angereicherten, melancholischen Popsongs. Die variantenreiche Stimme Burrells und das starke Schlagzeugspiel Zossos erhielten Raum und rückten in den Vordergrund. Eine erfreuliche Angelegenheit, die Lust auf Notwist machte. Eben, «Boneless». Sänger, Gitarrist  und Wuschelkopf Markus Acher (der optisch etwas an Büne Huber erinnerte, aber das ist ein Gedanke, den man am besten ganz schnell ganz weit weg verdrängt) stand in der Mitte, streichelte über seine Gitarre und schien keine Minute an irgendwelche Plattitüden zu verschwenden. Am Bass und zwischendurch an elektronischen Geräten, ganz unauffällig am Werk, war Michael Acher. Und der dritte Notwist Martin Gretschmann (aka Console) stand links am Bühnenrand vorne – mit seinen blonden Locken nicht zu übersehen. Vor ihm eine Art Tischchen mit Programmiergeräten darauf, die er mit zwei Nintendo-Wii-ähnlichen (also kabellosen) Kontrollern bediente – mit ihnen in verschieden schnellen, teils ruckartigen Bewegungen durch die Luft fuhr und so die Geräusche und Sounds steuerte. Und er tat das mit einer Coolness, die ihresgleichen sucht.

Mit an Bord hatten sie einen fantastischen Drummer, einen Perkussionisten (der auch Vibraphon spielte) und einen zweiten Gitarristen (der auch Orgel spielte). Es ging also noch ganz unaufällig los. Sehr präzise natürlich, aber sie spielten die ersten paar Songs mehr oder weniger, wie man sie von den Alben kennt. Mehrheitlich von ihrem neusten, exakt zwei Jahre alten, «The Devil, You + Me» und ihrem Meisterwerk «Neon Golden» von 2002. Es war fantastisch anzuhören, wie diese Band, dieses Kollektiv funktioniert, wie sie total souverän – aber nie lieblos! – die zarten Popsongs zum Besten gaben. Und wie sie genau die Momente erkannten, in denen sie einen Effekt mehr einstreuen, die Gitarre dicker auftragen oder den Schagzeuger zu einem Trommelfeuerwerk losslassen können. So richtig entfacht wurde das Feuer gegen Mitte des Konzerts beim Übersong «Pilot». Acher bediente seine Stimme via Plattenspieler selber, die Sätze wiederholten sich mantraartig: «He’s living next the rails. He can tell you things of different cars and trains». Die Band setzte ein und der Song steigerte sich in eine Art Drum-’n’-Bass-Gewitter, dem sich niemand entziehen konnte. Der Bann war nun definitiv gebrochen, die Band drehte immer wieder auf und zeigte, was für ein Potential in ihnen steckt – und vor allem: Dass sie mit dem aktuellen Songmaterial seit zwei Jahren touren und weltmeisterlich sicher damit umgehen und gleichzeitig eine überbordende Spielfreude zeigen. Und inmitten all der Geräusche, den Orgeln, dem Flimmern und Zirpen und Quietschen, die Stimme von Markus Archer. Nie im Vordergrund. Ohne Effekte, ohne Hall – ein warmes und zartes Pflänzchen inmitten der bizarren Soundwelt. Die Konstante durch ein in allen Belangen fantastisches Konzert. Viele Leute blieben danach noch eine Weile im Südpol. Gute, bisweilen euphorische Laune weit und breit. Angenehme Fassungslosigkeit ob dem zuvor Gebotenen – niemand, der auch nur ansatzweise etwas zu nörgeln gehabt hätte. Es war eine schöne Stimmung. Den anschliessenden Gang in die Bar 59 – und den damit verbundenen Kulturschock – hätte man besser sein lassen.