Wenn Träume austrocknen & Spannertum das Abenteuer vom Platz verdrängt – oder: «Das Antidot»

Warum ist es immer wieder der Südpol, der den wackeren Kulturteilern die Sprache verschlägt? So am Freitag auch mir, als die gebürtige Argentinierin Laura Kalauz mit der unter ihrer Leitung entstandenen Gruppenarbeit «Do what you see_see what you do» verstörte und erleuchtete. Ein Einkreisen in Sätzen.

Es war ein zwiespältiger Abend, dieser Karfreitag, 2. April, der ja nach T.S. Eliot der fieseste Monat von allen sein soll. Zwiespältig, weil die anschliessende Party, dank dem wahnsinnig intelligent-innovativ-investigativen Journalismus des Regionaljournal Zentralschweiz abgesagt werden musste, da es ja dieses Gesetz aus dem Jahre 1400 gibt, angeregt durch eine Institution, die in den heutigen Tagen den Tatbestand der kriminellen Vereinigung erfüllt, aber noch immer wacker weiter werkelt. Für das Verbrechen, an Feiertagen mit Tanzverbot Partys zu veranstalten, gibt es jedoch weder Gnade noch Rechtfertigung. Da könnte ja jeder kommen. (Wahrscheinlich hätte es kein Schwein interessiert, wenn gewisse Medien nicht so gewissenhaft gewesen wären. Wobei ich mit «Schwein» nicht die Gewerbepolizei meine. Nur damit wir uns verstehen.) Zu den Höhen nun. Dorthin, wo man sieht, was man tut und tut, was man sieht. An der Kasse werde ich gebeten, einen Steckbrief auszufüllen. Irgendwie. Ich kann sein, wer ich will. Zivilstand: Schwanger. Im Raum, in den wir gelotst werden, steht eine Bar. Gut so. Daneben ein Tischchen mit Schallplatten und nem Spieler drauf. Vis-à-vis ein Kleiderständer mit allerlei absurden Textilien. An der hinteren wie an der rechten Wand je eine Couch. WTF? Wo zur Hölle ist die Bühne? Ich bin nicht der einzige, der aus dem Konzept katapultiert wurde. Nichts anmerken lassen, sag ich mir. Gaga, oh-lala! Popopopokerface aufsetzen. «Ist da noch frei?» «Ja.» «Kann ich was bestellen?» «Selbstverständlich. Aber du musst mir etwas geben, das bereichert, was hier ist.» Ich krame in meinen Taschen. «Hast du ein Bier?» «Ich nicht. Aber irgendwer im Raum kann dir besorgen.» So beginnt mein Abenteuer – jeder Besucher hat sein eigenes erlebt – das nun eben nicht den ordinären Voyeurismus mit Gruppe auf der Bühne, Publikum auf den Stühlen abspult, sondern ein Reigen von Ereignissen und Begegnungen weitab vom grauenvollen, klischierten, interaktiven Theater, wie es das beispielsweise Luzerner Theater während einer Umbaupause bei «Leonce und Lena» versuchte. «DWYS_SWYD» ist etwas zwischen einem Pfadi-Game, wie wir es früher gespielt hatten, als wir mitten in Luzern wildfremde Menschen dazu bringen mussten, dubiose Aufträge für uns zu erfüllen, und moderner Kommunikationstheorie. So wird in der Pressemappe der Poststrukturalist Foucault zitiert: «In civilizations without boats, dreams dry up and espionage takes the place of adventure [...]» (Ja, ich weiss, dass «espionage» herkömmlich nicht mit «Voyeurismus» übersetzt wird, aber es schien mir dem Anlass gerechter.) Ob ich mit dem Biermann verhandle, im «Secret Room» – ja, das Ganze fühlte sich immer wieder wie 'n Lynch-Film an – durch ein Mikrofon Anweisungen nach draussen gebe, manchmal gehört werde, manchmal nicht («Fühlst du dich ignoriert?»), alles dreht sich um Kommunikation. Wer sind die Schauspieler, wer das Publikum? Wem kann man trauen? Am Ende Keinem. Auf einmal unterbricht die Musik, und Alles geht noch mal von vorne los. Man kann die Situationen noch mal durchspielen, sein Verhalten verändern. Glücklicherweise wird das ganze nicht auf die Spitze getrieben, wie in Frischs «Biographie – ein Spiel». Mitten in der Fahrt hält das Karussell, und der Inhaber der zu Beginn heimlich in die Besucher eingeschleusten Hundertfrankennote wird gebeten, sich zu melden. Stille. Stille. Stille. Ich bin überzeugt, verarscht geworden zu sein, als ich den Auftrag erhielt, ebenjene zu suchen, finde eine Zeit später jedoch investigativ raus, dass dieser Teil in Luzern zum ersten Mal nicht funktionierte. Dass irgendjemand das Ding nach Hause nahm. Schnitt. Brachiales Gewitter. «Pistol Poem». Abgefeuerte Worthülsen, zündende Poesie, die an den Ursprung der Sprache zurückgeleitet. Die letzten zehn Minuten darf nur wortlos kommuniziert werden. Ein Feuerwerk aus Gesten und Kampfbewegungen. Das Licht geht aus. Jemand stampft, jemand schnipst, irgendwer klatscht. Auf einmal löst sich ein älterer Herr aus den zwei Reihen, die sich wie beim Spalierstehen an 'ner Hochzeit gebildet haben, und geht dazwischen auf und ab, gibt sich dem Rhythmus hin. Der Schamane und seine Community. Ich denke, es ist nicht vermessen, von einem religiösen Erlebnis zu sprechen. Einer Connection, die über das Individuum hinausgeht ... Dann können Fragen gestellt werden – wer wundert's noch, dass es keine Antworten gibt ...? Wildfremde Menschen haben einen Abend miteinander interagiert. Was bedeutet das für die Realität? Warum gibt es ein Drinnen und Draussen? An der Bar, wo das Setting «Performance» ist, plaudert man ungezwungen mit jedem per Du, während sich dieselben Personen am selben Ort mit anderem Setting kaum anschauen würden- Kunst als Teil der inneren Erforschung? Jawoll! «DWYS_SWYD» jedenfalls ist ein wahrer Kick. Ein Antidot für ausgetrocknete Träume und verkrampftes Spannertum. «This left me speechless, so speechless Why you so speechless, so speechless?»