«Was halten wir eigentlich von Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken?!» – Max Goldt im Südpol

Haller: Zu Weihnachten kriegte ich ein zitronengelbes Büchlein geschenkt, auf dem in feierlich-geschwungener Schrift «Ein Buch namens Zimbo» geschrieben stand. Was für ein beknackter Titel. Zimbo heisst vielleicht ein Hund oder allenfalls ein Mitbewohner. Einem, der sein Buch so benennt, muss es allerdings recht das Hirn verschneit haben. Der Inhalt gab mir recht. Da war ein gestörte Seele am Werk. Eine die allerdings nebenbei auch very clever und absolute brilliant ist. Ein krankes Genie, ein dunkler Meister des schwarzen Humors.* Eine wahre Ausschweifung! Kaum waren alle Buchstaben ins Hirn raufgesogen, da erschien der Autor aus der «Kulturhauptstadt Nordeuropas» auch schon in der «kleinstädtischen Kulturlandschaft der Leuchtenstadt» - gestern Donnerstag in der grosse Südpol-Halle.

(Von Pablo Haller und Sam Pirelli)

Pirelli: Und was für eine Erscheinung das war! Ich habe ihn früher schon gehört, in der Boa selig. Von daher war mir durchaus noch in Erinnerung, was für performerische Qualitäten der Kerl hat. Man kennt das ja eigentlich: SchriftstellerInnen, die ihre Werke vortragen, sind in aller Regel sadistisch veranlagt. Sie quälen ihre kulturbeflissene ZuhörerInnenschaft mit Verhaspel- und Vernuschelungen, sitzen picklig in fürchterlicher Haltung am Pult, und weil es ihnen peinlich ist, ihre eigene Stimme durch das PA zu hören (und sie sich natürlich zu schade sind, sich mit Mikrofondynamik zu befassen), hauchen sie derart leise, dass das Zuhören zur anstrengenden Arbeit wird. Das hat vielleicht Strategie: Man kauft ihr Buch dann aus Mitleid. Ganz anders der Herr Goldt! Man mag über den kackbraunen Anzug geteilter Ansicht sein, aber kaum tritt der Autor auf die Bühne, zieht er das Publikum mit seiner Präsenz in Bann. Dieses übrigens ist zahlreich vorhanden, die Tribüne der grossen Südpol-Halle ist fast vollständig besetzt. Und ein gutes Publikum ist es! Wach, aufmerksam, neugierig und sofort im inneren Dialog mit dem Künstler. Der hinwiederum schreibt, dass einem die Glückstränen kommen möchten, in einer leicht altertümlich anmutenden, ungemein gewählten Sprache – und sein Vortrag steht der Qualität der Texte in nichts nach: die Stimme sonor, die Diktion gepflegt, mit Leichtigkeit verleiht er seinen Figuren ihren je eigenen Charakter, über ganz viele Register verfügt er. Und wiewohl die grosse Routine und das ausgeprägte Selbstvertrauen bei jedem Wort aufscheinen, bleibt er charmant, wirkt, dem Starstatus zum Trotz, nie arrogant oder überheblich, aber stets im besten Sinn des Wortes überlegen. Der Vortrag ist lebhaft, und auch wenn Goldt durchaus chargiert, die Darstellung der Charaktere driftet nie ins Manieristische ab. Wir hören von einer Seniorin, die barbusig die Gebeine der Gebrüder Grimm ausgräbt, erfahren, dass der Autor nie Sodbrennen hat (dabei zitiert er Gloria von Thurn und Taxis: «Man hat nicht Sodbrennen, man hat eine Jagdverletzung»), lauschen gebannt seiner Beschreibung eines «wunderschönen kommunistischen Ehepaares» in der U-Bahn sowie dem Dialog zweier Menschen, die sich zum ersten Mal sehen und sogleich über ihre Hässlichkeit zu parlieren beginnen («Und da habe ich eine Zwischenwulst mir unbekannten Namens»). Feinfühlige Beobachtungen des Alltäglichen führen zu grundsätzlichen Aussagen, die aber immer sanft ziseliert und nie plakativ daherkommen.

Das Publikum goutierts, lacht viel, vereinzelt gibts gar Szenenapplaus, wundersame Ausgelassenheit macht sich breit. Goldt liest netto über zwei Stunden, doch niemand beginnt auf dem Stuhl hin und her zu rutschen, die Aufmerksamkeit aller bleibt bis zum Schluss fokussiert. Das ist Unterhaltungsliteratur im besten Sinn, ganz grosses Kino! Zum Abschluss macht Goldt auf seine Buchsignierwilligkeit aufmerksam, beklagt sich darüber, dass er vor fünf Jahren in der schlecht besetzten Boa kein einziges Werk habe beschriften dürfen (was, wie Augenzeugen später berichten werden, schamlos geflunkert ist), und rührt in unerwarteter, wenngleich charmierender Unverhülltheit die Werbetrommel für den Büchertisch. Und die Leute kaufen wie blöd, auch ich, ich gebs zu. Und ich schliesse mich Goldts Vorgehen an: Kauft! Lest! Es lohnt! Pirellis erstes Postskriptum. Die kürzeste Geschichte des Abends: «Was halten wir eigentlich von Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken?!» Pirellis zweites Postskriptum. Wir alle vermissen die Boa. Gestern wurde mir einmal mehr bewusst, wie sehr sie mir und dieser Stadt fehlt. Doch ich muss dem Südpol ganz neidlos ein Kränzlein winden: ein wirklich schöner Ort, der jetzt zu leben beginnt, das Personal freundlich und kompetent, das sich abzeichnende Konzept geht auf. Von der viel beklagten architektonischen Kälte ist nichts mehr zu spüren, man fühlt sich sogleich willkommen. Und, im Fall, ich fuhr wie stets mit dem Velo hin: also sooo weit weg liegt er jetzt auch nicht. Mich wird man schon heute wieder dort sehen, ich freue mich auf das aktuelle Programm der unvergleichlichen Irina Lorez. Wer kommt mit? * Ja, er war mal bei Titanic. (Und ja, er ist es immer noch - danke, Ernst Jünger.) Muss das an dieser Stelle jetzt auch noch erwähnt werden? Allerdings.