Von Hin und Her zweier Seelen

Südpol Kriens, 11.12.2013: An der Premiere von «Die Anderen» trifft nonverbale Kommunikation auf tänzerisches Geschick. Das Kollektiv Polymer DMT inszeniert die heikle Thematik des Nachstellens einer Person als aufwühlende Bühnenshow.

(Von Nicole Buchmann)

Der Begriff «Stalking» existiert seit 1989, als der 19-jährige Robert John Bardo die Schauspielerin Rebecca Schaeffer an ihrer Wohnungstür in Los Angeles erschoss. Seitdem wurden wir immer wieder mit dem Phänomen des Stalkings konfrontiert. Als Inspirationsquelle für das Tanzstück „Die Anderen“ diente dem Kollektiv Polymer DMT ein Artikel aus einer koreanischen Zeitung über ein Paar. Der Mann trennt sich von seiner Frau und wirft sie samt Hab und Gut aus ihrem gemeinsamen Haus. Von da an lebt die Frau auf der Strasse – vor ihrem eigenen Haus. Immer wieder versucht sie, ihren Mann zu erreichen, wacht stundenlang vor ihrer ehemaligen Eingangstür. Er hingegen versucht jede Möglichkeit eines Kontakts zu unterbinden. Zu Beginn ist es dunkel und still im Saal des Südpols. Dann sind Schritte zu hören. Allmählich setzt die Musik ein und zwei Personen treten urplötzlich aus dem Nichts hervor. Durch ihre Kleidung ist erkennbar, dass es sich um ein Paar handelt. Sie stehen nun da und schauen mit leerem Blick zur Zuschauertribüne. Sie bewegen sich mit roboterhaften Bewegungen und zeigen ernste Miene. Sie stehen nahe beieinander, berühren sich aber nicht. Im Nu ist nur noch eine Person zu sehen, es handelt sich um die Südkoreanerin Hyun Jin Kim, die den männlichen Part des Paares spielt. Sie fährt mit den Bewegungen fort. Die Musik, welche elektrisierend, bedrohlich und aggressiv zugleich wirkt, verstummt. Plötzlich ist nichts als Dunkelheit. Ein einzelnes Scheinwerferlicht taucht auf, leuchtet nervös im Raum herum. Zu hören sind laute, ängstliche Atemzüge, welche kontinuierlich schneller und intensiver werden. Die Angst scheint gross zu sein. Doch noch immer ist Niemand zu sehen, was die Spannung auf eine ungeheure Spitze treibt. Dieses Moment ist sehr intensiv, sodass man als Zuschauer gefühlsmässig in die Geschichte hineinversetzt wird. Bei mir macht sich diese Stimmung mit Gänsehaut bemerkbar. Was wird wohl passieren?

Schlagartig stehen sich die beiden Protagonisten gegenüber. In tänzerischer Eleganz und energiegeladen führt das Paar einen regelrechten Schlagabtausch durch. Nähe und Distanz wechseln sich permanent ab. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel der besonderen Art. Was folgt, ist ein Monolog in koreanischer Sprache. Für die meisten Besucher wohl unverständlich, aber in der phonetischen Wiedergabe sehr klangvoll und lieblich. Nach etlichen Annäherungsversuchen kommt sich das Paar wieder näher, Liebe und Angst liegen hier auf der gleichen Linie. Das Paar schwankt von einem Extrem ins Andere. «No Fear. You can stop this at any time. I can stop this!». Dieser Monolog, vom weiblichen Part (gespielt von der Luzernerin Deborah Gassmann) ausgehend, läutet das Ende ein. Immerzu wiederholt sie diese Worte. «Keine Angst. Du kannst jederzeit aufhören. Ich kann damit aufhören!». Hört sich sehr nach einem Spiel an. Doch ist das so? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall setzt Polymer diese ernste Thematik sehr gekonnt um.

Das Kollektiv beschäftigt sich in ihrem Stück mit dem leicht verwirrenden Titel «Die Anderen» mit der emotionalen Gefangenschaft, die das Paar durchlebt, auseinander. Die Rolle des Verletzten und des Verletzenden wird abwechselnd auf beide Protagonistenrollen übertragen. Ein ständiges Hin und Her der Gefühlsebenen. Es wird keine explizite Sympathie auf einen der Protagonisten gelenkt. Als Zuschauer kann sich auf beide Charakteren einlassen, mitfühlen oder verabscheuen. Die Tänzer inszenieren mit dieser Performance ein durchaus beeindruckendes Bühnenstück. Sie überbringen die volle Wucht von Emotionen, vielfach allein durch ihre tänzerische Leistung. Nicht vergessen darf man die tolle Unterstützung durch Patrik Zosso (Soundmixer) und Remo Merz (Lichtführung), die ihrerseits Alles für das Gelingen der Premiere beigaben. Polymer setzt sich zusammen aus den beiden Südkoreanerinnen Fang Yun Lo, Hyun Jin Kim und der Luzernerin Deborah Gassmann. Allesamt studierten an der Folkwang Hochschule in Essen, wo sie sich auch kennenlernten und erste gemeinsame Projekte verwirklichten.

Weitere Vorstellungen: DO/SA 12./14. Dezember 2013, 20:00 Uhr (Türöffnung 19:00 Uhr) DO/FR/SA 06./07./08. Februar, 20:00 Uhr (Türöffnung 19:00 Uhr) Ort: SÜDPOL, Arsenalstrasse 28, 6010 Kriens Links: www.sudpol.ch, www.polymerdmt.org