Von flimmernden Epilepsieförderern zu voll geschissenen Windeln – K.TV in der Gewerbehalle

Sie haben den heiss begehrten A.f.a.k.E.n.k.N.i.L-Award gewonnen (Award für aussergewöhnliches kulturelles Engagement nicht kommerzieller Natur in Luzern) und sind mit bemerkenswerter Konstanz bei der Sache: die Macher von K.TV. Zeit also, die Welt der flirrenden Bilder, schnellen Schnitte und schweren Beats in Augenschein zu nehmen.

Wer wie Pirelli schon etwas älteren Semesters ist, kann sich noch gut an die Begeisterung erinnern, die MTV in den Achtzigern ausgelöst hat. Endlich konnte man Musikvideos schauen, ohne an die wenigen Hitparadensendungen gebunden zu sein oder Lokale zweifelhafter Natur aufsuchen zu müssen. Die ersten VJs, wie der legendäre Ray Cokes, erlangten nicht nur Weltruhm, sondern definierten auch das Genre der TV-Moderation neu – weg vom steifen Mief und hin zur Kamera, bis hin zur Mundhöhleninspektion. Selige Zeiten waren das, inzwischen zeigen MTV, Viva, und wie sie alle heissen, alles ausser Musikvideos: Dümmliche Gameshows wechseln sich ab mit unerträglichen Reality-Formaten; die bunte, fröhliche, lebendige Welt ist einem marketingdefinierten Einheitsbrei gewichen.

Doch das sei nicht mal schlimm, meint Tobias Bünter vom Korsett-Kollektiv: «Weil die Bands und die Clip-Regisseure wissen, dass ihre Videos ohnehin nicht am TV gezeigt werden, müssen sie sich nicht mehr an die TV-Konventionen halten.» Und dank dem Internet floriert die Szene. Bünter hat sich mit Simon Renfer, Amadeus Waltensbühl und Rafael Spiess aufgemacht, die von MTV und Co. hinterlassene Lücke zu füllen, das Format heisst K.TV und findet immer am letzten Donnerstag im Monat in der Gewerbehalle statt (21 Uhr, spätestens um 21.30 da sein). K.TV – ich besuchte die bereits 13. Sendung – findet immer nach dem gleichen Muster statt. Das rund zweistündige Programm ist in einzelne Genres eingeteilt, Spiess gibt eine kurze Einführung zur Musik, dann übernimmt Bünter und informiert über das Video. Den Anfang machte diesmal die Abteilung «K.TV Classic», gezeigt wurden Trio mit «Da, da, da» – und zwar in der unzensierten Version, in der die göttliche Annette Humpe ganz brutal gemetzelt wird. Die dazu gereichten Informationen sind tatsächlich nützlich, so erfuhr man unter anderem, dass 168-mal «da» und 27-mal «aha» gesagt wird. Nun folgte «K.TV Experimental», es wurde unter anderem ein Clip präsentiert, der nur aus VHS-Bandstörungen komponiert wurde. Weitere Genres sind «K.TV Animated», «K.TV Splatter», «K.TV Sex Sells» (ein eigentümlich anziehendes Video wurde gezeigt, dass drei Frauen durch ihren jeweiligen Alltag begleitet, wobei man nur je ihren Hintern sieht, dessen Bewegungen die Kamera minutiös folgt) und, mein Favorit dieses Abends, «K.TV Trash». Hier wurde ein Special gebracht über das tatsächlich sehr trashige deutsche Kollektiv HGich.T (ausgesprochen: ha-ge-ichte), das mir bislang nicht bekannt war, das kennenzulernen den Besuch aber schon lohnte. Reime wie «Sie kommt aus Schwerin / und findet ihn / auf einer Vernissage in Berlin» oder «Künstlerschweine, Künstlerschweine / heute brech ich euch die Beine» erfreuen das Herz, und dass Protagonist Max Bar am liebsten in einer voll gekackten Windel auftritt, sorgt für den gewissen Ekelkitzel.

Die gut zwei Stunden sind recht schnell um – selbstredend ist der Keller bestuhlt, man verfolgt das Programm gemütlich sitzend, trinkend und rauchend, wie immer grossartig bewirtet von Juliette und Lea. Den Abschluss bildet «K.TV Service public», hier wird auf Partys und Events im Bereich der elektronischen Musik hingewiesen, mithilfe von Trailern, Videos und Live-Aufnahmen. Schwerpunkt diesmal natürlich «La Grande Bumm 10», die morgen Samstag im Südpol stattfindet und tatsächlich läss zu werden verspricht. Im Anschluss an K.TV folgen die «Ghost Notes», elektronische Musik in angemessener Lautstärke, dargebracht von Korsett-DJs. Nun bin ich kein visueller Mensch, das Genre der Musikvideos ist mir nicht leicht zugänglich. Zumal es sich hier nicht um die Art von Clips handelt, die man von den Musiksendern am TV gewohnt war: Die K.TV-Macher verstehen die zeitgenössischen Videos als das, was sie sind – eine durchaus ernst zu nehmende Kunstform. Und sie legen das Schwergewicht auf die gegenwärtige elektronische Musik, was der Zielsetzung des vor fünf Jahren gegründeten Korsett-Kollektivs entspricht, dessen Teil sie sind: die Förderung elektronischer Klänge abseits des Mainstreams. So kann ein «bereits vor vier Jahren» produziertes Video schon als «Klassiker» gelten; und da ich immer noch den E-Gitarren nachhänge, fühlte ich mich des Öfteren etwas ratlos. Rock ’n’ Roll wird halt heutzutage anders definiert. Aber etliche der Videos waren tatsächlich aufregend, und die – vielleicht manchmal etwas gar langatmigen – Ausführungen von Bünter und Spiess halten einen gut bei der Stange. Und der Service ist gut: Man kann die Videos aller bisherigen Sendungen wie auch die Informationen dazu auf der Homepage des Korsett-Kollektivs abrufen.

Die nächste K.TV-Sendung findet am 25. März statt, zum Besuch wird geraten.