Von der Synthie-Schubkarre zum Modular-Monster

PlattenWechsler: Obertonstruktur der Kaulquappe ist ein Name, der drei Gedanken hervorruft: 1. B-Sides Festival. 2. Industriestrasse. 3. Kompliziertester Bandname Luzerns. Nun kann man die Kaulquappe auch daheim hören: als Two-Track-Vinyl-EP.

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Der Soundtrack der Industriestrasse. Fast schon ehrfürchtig fliesst diese Titulierung aus den Fingern in die Tastatur. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Areals würden darüber wohl nur den Kopf schütteln. Doch für den hier Schreibenden klingt die Two-Track-Vinyl-EP «S/T» von Obertonstruktur der Kaulquappe genau danach. Auf nur zwei Tracks schafft es das Modular-Synthesizer-Duo um Matthias «This» Grossmann und Gabriel Ammon, vom eigenen Ecken aus dem «ihrigen» Quartier und zugleich der Stadt Luzern ein weiteres musikalisches Gesicht zu verleihen. Das haben sie schon einmal gemacht, als sie mit ihrer Band Marochine, der weiter Esther Andermatt (b) und Marcel Huwiler (dr) angehörten, den Keller am Eck Industriestrasse–Geissensteinring erdonnern liessen. Als Obertonstruktur der Kaulquappe tun sie es wieder: mit einer gigantischen Wand aus Kabeln und Knöpfen, die sie an den sogenannten Modular-Synthesizern – Synthies aus mehreren Komponenten, sogenannten Modulen – drehen, drücken und umstecken.

Vor der Wand waren aber die Wägeli: Nach einem ersten Auftritt 2012 am Industriestrassenfest folgten zwei «Schubkarren» voller Synthie-Stuff, mit denen Grossmann und Ammon die Strasse bespielten – und alsbald das B-Sides Festival, wo sie seither jedes Jahr aufgetreten sind, inklusive ausgiebiger Lichtshow. Nach dem Eindunkeln führte jeweils kein Weg mehr am Duo vorbei, das sich zu einer beliebten Attraktion des Sonnenberg-Traditionsanlasses mauserte. So beliebt, dass 2019 erstmals ein Auftritt im Zelt folgte, der es in sich haben sollte. Schlicht legendär! Heisse Synthies, blinkende Lichter, ravende Menschen, Techno, Industrial, Ekstase.

Da können Giorgio Moroder und Co. noch so lange Disco programmieren: Das Elektrofeuerwerk, Marke «Made in Indu», stiehlt die Show, auch anderswo. Im Rahmen ihrer ausverkauften Südpol-Residenz Anfang Dezember beispielsweise bauten Ammon und Grossmann ihre Gerätschaften weiter aus und präsentierten das Resultat in Zusammenarbeit mit Audiotechniker Pablo Stalder sowie Lichtdesigner Karl Egli, welcher eigens dafür eine Lichtshow programmierte.

Man merkt beim Lesen: Die Obertonstruktur der Kaulquappe ist ein Liveerlebnis. Trotzdem lohnt es sich, auch die Vinyl-EP zu organisieren. Dort schreit Grossmann mit gepitchter Stimme auf dem Stück «SUV» eine Wuttirade über die dicken Karren, wobei direkt Gabber-Feeling aufkommt. Und «Warten» ist ein vielseitiger 12-Minüter geworden, der einerseits warme Psychedelic-Wellen versprüht und anderseits kalten Industrial rezitiert. Ein Stück Obertonstruktur der Kaulquappe für daheim. Der Bandname steht übrigens für die Essenz des Klangs und für Metamorphose, und das lässt sich wiederum auch auf die Industriestrasse übertragen: ein Stück Musik und Veränderung der Indu für daheim also.