The Stolen Sounds – Luzerner Theater: «The Stolen Smells» von Simon Wills

Was für ein interpretatorisches Gelingen auf höchstem Niveau! Das Luzerner Sinfonieorchester, die Solistinnen und Solisten des hiesigen Ensembles, der Theaterchor: Sie alle wurden vom dirigierenden Komponisten selbst offenhörlich zu musikalischen Höchstleistungen angetrieben.

(Bilder: Ingo Höhn/zvg)

Die Orchestermusiker realisierten die Partitur mit Präzision, Engagement und wohl auch Spiellust. Da war seriös geprobt worden. Ebenso überzeugend erfüllten Sängerinnen und Sänger ihre mal parodistisch-hysterisch-hochvirtuosen, mal lyrisch-sentimentalen, mal viril-bassgrundelnden Rollen. Das Luzerner Theater schenkte in Zusammenarbeit mit dem NDR-Sinfonieorchester Hamburg einem zur Zeit lebenden Komponisten eine Uraufführung, die diesen zweifelsohne hoch beglücken musste. Aber was für einem fadenscheinigen, zusammengeflickten Fetzen Musik galt dieser rührende Aufwand! Simon Wills komponierte einen Second-Hand-Sound, der von Broadway, Britten und Bernstein bis zu Bayreuth und Berg so ziemlich alles ausbeutet und bedenkenlos zusammenkitscht, was in der Opern- und Musicalgeschichte der letzten hundertfünfzig Jahre mehr oder auch weniger Bedeutendes hervorgebracht wurde. Das alles ist jederzeit gerissen gemacht, effektvoll, ist insbesondere brillant instrumentiert und oft fetzig, aber vollkommen zahnlos, weil in keinem Moment authentisch oder auch nur originell.

Mal gibt's einen Blues, mal eine Fuge, mal eine Art Wahnsinnsarie oder ein Liebesduett, mal klingt es minutenweise nach Schostakovitsch oder Weill, dann wieder werden uns wörtliche Zitate, etwa aus Bergs «Wozzeck» präsentiert, ohne dass erkennbar wäre, worin nun der Sinn des Zitats läge. Der Komponist gibt zu Protokoll, dass er ein Werk «ohne jede Ironie und postmodernes Gehabe» habe schreiben wollen, in einer ganz aus dem persönlichen Instinkt erwachsenen Tonsprache. Ja was denn? Wenn diese Musik ohne Anführungszeichen gehört werden soll, dann ist sie ja nichts anderes als Diebesgut. Dann wird einfach das irgendwo abgeschrieben und um des Effektes willen neu plaziert, von dem der Neukompilator denkt, dass es ihm nützt und Effekt macht. Er rechnet aber dann mit der Unbildung des Publikums. Wenn das Abgestandene und Abgekupferte der Partitur sich nicht einmal mehr als Parodie gerieren darf, bleibt nur Copy-Paste übrig. Ist das der Urklang der Jetztzeit? Guttenbergsches Gänsefüsschenvergessen? «I cannot eat something that is stolen» singt der biedere «Dichter» im Verlaufe des Abends. Bei so hochentwickelter moralischer Pingeligkeit müsste man um die Probleme des Urheberrechts wissen. Den Text des gestohlenen Gesamtkunstwerks hat Simon Wills nach einem «aus dem vorderen Orient stammenden Volksmärchen» auch gleich selber verfasst. Es geht irgendwie um den Gegensatz zwischen Brot und Poesie, also Geld und Kunst oder Business und Besetzungsbewegung. Das Libretto ist ordentlich pointenlos, und wer salomonische Urteilsverkündigungen, kaukasische Kreidekreise und symbolbeladene Gerichtsverhandlungen gegen abstrakte Prinzipien auf Opern- und anderen Bühnen nicht ausstehen kann, wird gegen das Stückende hin zunehmend leiden, auch wegen der naiven Knusperhäuschen- und Weihnachtsmärchen-Aesthetik des Bühnenbildes und der hierzu passenden gewohnt gefälligen, geschichts- und gesichtslosen Inszenierung des Hausherrn. «The Stolen Smells» ist nicht dazu angetan, das Vorurteil, wonach seit Henry Purcells Tod im Jahre 1695 aus dem Vereinigten Königreich kein nennenswerter Beitrag zur Musikgeschichte mehr geleistet wurde, gross zu widerlegen. Gegen gehobene Unterhaltung ist ja nun gar nichts einzuwenden. Es schien aber nicht so, dass sich das Publikum gross unterhalten fühlte. Die gestohlene Musik dieser Opera Buffa macht es dann eben doch niemandem so recht recht. Es hilft dann auch nicht, wenn der Komponist im Programmheft gegen die angeblich ungeliebten modernen Kollegen schimpft, bei denen er sich so reichlich bedient.

Bis 18. März 2012 am Luzerner Theater (Musikalische Leitung: Simon Wills, Inszenierung: Dominique Mentha, Bühne: Werner Hutterli, Kostüme: Susanne Boner, Licht: Gérard Cleven, Choreinstudierung: Lev Vernik, Dramaturgie: Christian Kipper)