Stimme des Volkes, des Hasses, des Mordes

Donnerstag, 2. Februar: Milo Raus IIPM (International Institute of Political Murder) gastiert mit «Hate Radio», einem Stück über den Völkermord in Ruanda, im Südpol. Es scheint trotz des noch jungen Jahres nicht vermessen, dieses als d a s Theaterereignis 2012 zu feiern.

(Bilder: Frank Schroeder/zvg)

In der Shedhalle sind sie alle versammelt. Jene, die man an so einem Anlass erwartet und ein, eher unerwartet, auch junges Publikum. Es scheint sich rumgesprochen zu haben: Das IIPM ist back in town. Dies nach dem Projekt «Die letzten Tage der Ceausescus», in dem mit rumänischen Schauspielern der Prozess gegen den ehemaligen rumänischen Machthaber Nicolae Ceausescu und seine Ehefrau Elena vor originalgetreuer Kulisse gemäss den Protokollen nachgespielt, reenacted, wurde. Theater in Idealform, in das man arglos reingeht und das man als – zumindest etwas – Veränderter verlässt. In der grossen Halle, wo bis vor kurzem noch Badminton gespielt wurde, steht in der Mitte ein grosser Kasten. Links und rechts davon sind Zuschauertribünen aufgebaut. Vor dem Eintreten hat man ein Radio mit Kopfhörern in die Hand gedrückt bekommen. Darauf wird, auf Frequenz 88.5, alles Gesprochene übertragen. Ein Radiostudio wird auch das Stück zeigen, jenes des RTLM (Radio-Télévision Libre des Mille Collines), bei dem die Moderatoren kiffend und biertrinkend den heissesten Sound aus dem Westen, dem Kongo etc. spielten und gleichzeitig zum Mord an den Tutsi aufriefen. Im Moment aber sehen wir bloss einen grossen Kasten, runtergelassene Rollladen, auf die überlebensgross Schauspieler projiziert sind, die glaubwürdig Betroffene verkörpern, ihr Zeugnis durch sich sprechen lassen. Unvorstellbare Schicksale und Taten werden da zutage gefördert, die die Grenze des Erträglichen – und auch wenn man es «bloss» hört – immer wieder überschreiten.

Doch so geschah es in Ruanda ab dem 6. April 1994, nachdem das Flugzeug des Präsidenten kurz vor der Landung von zwei Raketen getroffen wurde. In annähernd hundert Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu, die sich am Völkermord nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten. Die stationierten Friedenstruppen der Vereinten Nationen versagten, indem sie untätig blieben. Auch Täter kommen in «Hate Radio» zu Wort. Georges Ruggiu beispielsweise, genannt «der weisse Hutu», der bei RTLM moderierte und nun einem Ermittler Rede und Antwort stehen muss. Ermittler: «Herr Ruggiu, können Sie uns erklären, warum Sie beschlossen haben, auf schuldig zu plädieren?» Ruggiu: «Mir ist bewusst worden, dass während der Ereignisse von 1994 in Ruanda Menschen ums Leben kamen, und dass es eine direkte Verbindung zwischen ihrem Tod und dem gibt, was ich im Radio des Mille Collines gesagt habe.»

Bald wird es still, dunkel, die Rolladen fahren rauf, dann wieder Licht. Ein Radiostudio. DJ Joseph (Afazali Dewaele) hinter der Glaswand, Kantano Habimana (Diogène «Atome» Ntarindwa), Valerié Bemeriki (Nancy Nkusi) und Georges Ruggiu (Sébastian Foucault) an den Mikros, schweigend bewacht von einem Bewaffneten. Sie scherzen, sie plaudern. Auf Französisch und in der Lokalsprache. Sie vergleichen die Tutsi mit Hitler, während ihr Sender scheint wie ein Nazisender in Berlin 1945, während die Stadt bereits von alliierten Truppen umzingelt war. Falsch- und Hasspropaganda. Diffamierung aller, die die Mission – Auslöschung aller Tutsi («Das Mittelmeer soll mit ihren Körpern gefüllt sein, dass die Schiffe nicht mehr darauf fahren können») – infrage zu stellen wagen. Dazwischen rufen Leute an, unter ihnen ein elfjähriger Junge, die live erzählen, wo sich noch Tutsi verstecken, damit die Schlächtertruppe Interahamwe, eine Kampforganisation der MRND-Staatspartei Ruandas, sie killen kann. Die Anrufer dürfen sich dann ein Lied wünschen und Leute grüssen. Nach einer Stunde endet der diabolische Spuck, während man sich fühlt, als würde man ins Bodenlose fallen. Dieser flockig-lockere Zynismus lässt einen schockgefrieren. Gerade auch, weil die Akteure völlig authentisch sind, weil überhaupt nichts gespielt wirkt. Das ist nicht Theater, das ist ein Stück Realität, das da aufersteht.

Milo Rau hat für «Hate Radio» die Transkripte der RTLM-Sendungen gesichtet und aus Tausenden Stunden eine montiert, die einen sehr authentischen Überblick gibt. Im Interview mit Rolf Bossart bemerkte Rau dazu: «… worum es mir aber letztlich geht, ist nicht die dokumentarische Genauigkeit, sondern die Beschwörung einer Atmosphäre: Der in der Performance gezeigte Sendeabend spielt gegen Ende des Genozids, Kigali ist vom FPR eingekreist. Die Hysterie der Moderatoren ist auf dem Höhepunkt, und es herrscht eine zum Äussersten verschäfte Propanganda bei genauso verschärfter Unterhaltung.» «Wachsam bleiben», ist eine Devise der Moderatoren. Sie meinen damit: gegenüber den Tutsi. Wachsam bleiben soll auch der Zuschauer. Wachsam bleiben, die Mechanismen des Hasses aushebeln. In «Hate Radio» wird nicht moralisiert. Bloss dargestellt, der Schrecken schwingt in den cool gelaberten Worten der RTLM-Moderatoren. In den unaufgeregt erzählten Sequenzen der Betroffenen. Zu Beginn sagt einer von ihnen, man habe (vor dem Genozid) sogar Hutu-Hassprediger in Theaterorte eingeladen, um sie performen zu lassen und danach mit dem Publikum zu diskutieren. Das sei doch bloss Politik gewesen. Dachte man damals noch.

Weitere Aufführung: FR 3. Februar, 20 Uhr, Südpol Luzern