Sich aus dem Dunkel tastendes Licht

Produzentengalerie Alpineum, 06.02.2015: Gestern Abend fand die Vernissage zu Andri Stadlers neuer Werkserie statt. Ganz im Sinne des Ausstellungstitels «Shade» präsentiert der Fotokünstler Lichtübergänge an der Schwelle des Sichtbaren.

Kaum wahrnehmbar durchbrechen filigrane Andeutungen von Licht die tiefe Schwarzbläue der Hochglanzfotografie. Es sind hauchfeine Farbübergange von der totalen Monochromie in Farbnuancen, die von blossem Auge gerade noch visualisierbar sind. Mit der neuen Werkreihe Shade, acht lichtangehauchten, elegischen Fotografien, knüpft Andri Stadler an seine vorangegangenen Arbeiten Blended Light (2014) und Membran (2012) an. Die in der Produzentengalerie Alpineum ausgestellten Fotografien Stadlers verweigern sich einer klaren Rezeption. Keine Gegenständlichkeit, höchstens schemenhafte Umrisse lassen eine Motivik der Fotografien erahnen. Vorder- oder Hintergrund sind ebenso wenig auszumachen. Die radikal aufs Minimum des visuell erkennbaren reduzierten Bildkompositionen Stadlers bekunden die Vorliebe des Fotokünstlers für das Spielen mit dem Andeutungshaften. So gesehen sind die Fotografien der Werkserie Shade liminale Orte des Wahrnehmbaren, Schwellenzustände. Der Blick des Betrachters wird nicht geführt, sondern verliert sich in der Suche nach Struktur, nach einem Anhaltspunkt. Die Fotografien sprechen so das Unterbewusste ihres Betrachters an, stimulieren prärationale Emotionen, anstatt kognitive Prozesse in Gang zu setzen. Einem etwas anderen Konzept als die gerahmten Fotografien, folgt Andri Stadlers im Eingangsbereich der Galerie positionierte Diaschau Untitled, Munt (2014): In längeren Zeitabständen werden, wie Stefan Meier in seiner fundierten Eröffnungsrede festgestellt hat, fehlfokussierte und verwackelte Fotografien gezeigt, die beim Anstieg zu einem Maiensäss im Unterengadin entstanden seien. Die Unschärfe der überbelichteten Landschaft verleiht dem Bilderzyklus etwas Rastloses, Gehetztes. Er verkündet seinem Betrachter Unheimliches und Unheilvolles. Die Dias treten damit in Konkurrenz zu den acht hängenden Fotografien, die gerade, weil sie Assoziationen mit etwas Gegenständlichem nur schwerlich zulassen, kaum einen gespenstischen Charakter annehmen.

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Während Stadler die auf der Wand projizierten Fotografien in der Landschaft aufgenommen hat, sind die Aufnahmen der Werkreihe Shade in seinem Atelier entstanden. Andri Stadler hat zu diesem Zweck das Objektiv der frei im Raum aufgestellten Digitalkamera entfernt. Die geringen Lichtvariationen auf seinen Fotografien sind auf das Vorhandensein zweier Lichtquellen zurückzuführen, wobei Stadler zudem mit seinen Händen Schatten auf der Bildebene erzeugt hat. Daraus sind die acht in ihrer farblichen Beschaffenheit und ihrer Bildstruktur sehr unterschiedlichen Fotografien hervorgegangen. Weiss gerahmt, hinter einer Glasplatte präsentiert, gewinnt die Werkgruppe Shade eine neue, von Stadler womöglich nicht intendierte, aber für die Rezeption der Werke signifikante Komponente: Durch die Glasschicht entsteht ein fruchtbarer Widerspruch zwischen der eigentlich opaken, planaren Oberfläche der Fotografien und der darüber befindlichen transparenten Fläche. Diese Dualität von Transluzenz und Opazität mündet in ein ausgeglichenes Kräftespiel: Während nämlich der Betrachter den Lichtverläufen auf der Fotografie folgt, nimmt er, angesichts der Spieglung an der Glasplatte, zur gleichen Zeit sich selber und den ihn umgebenden Raum wahr. Dies umso mehr, je dunkler und einheitlicher die Farbverläufe eines Bildes sind. Der auf die Fotografie geworfene Blick des Betrachters transformiert ihn damit unweigerlich auch zum Betrachter, ja gar zum Voyeur seiner selbst, des Raums und den sich darin aufhaltenden Menschen. Dieses Spiel mit den Reflexionen erinnert an Gerhard Richters monochrome Glasarbeit Acht Grau. Die Fotografien Stadlers, welche sich durch eine Aufhebung von Figur-Grund-Beziehung auszeichnen, werden auf diese Weise, das heisst durch die Spieglung der Umgebung ad absurdum geführt: in den Fotografien befindet sich ihre jeweilige Umgebung: Wände, Lichtquellen, Körper und Gegenstände, die gespiegelt dem Standort und Blickpunkt des Betrachters entsprechend, kontinuierlich neue Variationen hervorbringen.

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Die Ausstellung «Shade» ist noch bis am 14. März 2015 in der Produzentengalerie Alpineum zu sehen.