Selanik - Saloniki - Salonica

Universität Luzern, 11.12.2014: Vor mehr als 500 Jahren wanderten aus Spanien vertriebene Juden in Thessaloniki ein und bewohnten diese Stadt gemeinsam mit Griechen, Türken, Slaven und anderen Bevölkerungsgruppen, bis sie während des zweiten Weltkriegs von den Deutschen nach Auschwitz deportiert wurden. Nur wenige sind zurückgekehrt und nur wenig erinnert in dieser Stadt heute noch an die Zeit, als sie «Jerusalem des Balkans» genannt wurde. Im Rahmen der Holocaust-Gedenktage zeigte die Universität Luzern das einfühlsame und überraschende Portrait von Paolo Poloni.

Macédoine heisst auf französisch ein buntes Gemisch von Früchten oder Gemüse. Gut denkbar, dass dieser Begriff durch das Gemisch der Kulturen und Sprachen in Thessaloniki - Hauptstadt der Region Makedonien in Nordgriechenland - geprägt wurde, meint Regisseur Paolo Poloni nach dem Film. Während insgesamt mehr als einem Jahr sammelte er in dieser Stadt Material für seinen Dokumentarfilm «Salonica». Erschrocken sei er über die Absenz der jüdischen Vergangenheit im heutigen Thessaloniki. Alles was an diesen Teil der Geschichte erinnere, seien die wenigen Überlebenden und ein ganz unscheinbares Denkmal auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Natürlich fände, wer die Augen offenhalte, viele weitere Spuren, doch sei die jüdische Geschichte kaum aufgearbeitet worden, obwohl Thessaloniki während Jahrhunderten mehrheitlich jüdisch war. Ursprünglich wollte der Regisseur die Geschichte der griechischen Juden erzählen, entstanden ist jedoch ein umfassendes und stimmungsvolles Portrait des heutigen Thessaloniki, geprägt durch die Erzählungen von Überlebenden Juden und deren Nachkommen aber auch vieler anderer Menschen. Da ist beispielsweise Oscar, der nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager gleich als Soldat in den Bürgerkrieg geschickt wurde. Oder Moishe, der als Jugendlicher zum Kommunist wurde und später als Partisan gegen die Deutschen kämpfte. Sofia und ihre Familie stammen aus Kasachstan und gehören zu den zahlreichen griechischstämmigen Einwanderern aus Kleinasien. Devin, Geschichtsstudent aus den USA, ist auf der Suche nach seinen Wurzeln in Thessaloniki. Die Roma Olivera lebt mit ihrer Tochter in den heruntergekommenen Hütten des ehemaligen jüdischen Ghettos. Kaum zu glauben, dass durch den Abriss des Viertels heute die Romas von diesem geschichtsträchtigen Ort vertrieben werden und somit auf der Strasse stehen.

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Viele der Geschichten lassen sich nur erahnen. Oft sind es auch nur auf der Strasse aufgeschnappte Szenen, die ohne Erklärung oder Fortsetzung bleiben. Der Film lässt uns eintauchen in diese Welt, so als ob wir wie der Regisseur auf der Suche nach Geschichten und Bildern durch die Stadt gehen würden. Im Vordergrund steht ein fragiles Gewebe von Eindrücken, Stimmungen und bruchstückhaften Erzählungen. Durch den Film führt das gemeinsame Thema der durchmischten Kulturen, der verschiedenen Sprachen und Religionen. So scheint es beispielsweise völlig absurd, dass ein griechischer Kioskverkäufer glühend patriotische Reden hält und im nächsten Atemzug zugeben muss, dass auch er eine ziemlich durchmischte Familiengeschichte hat. Mit der Wahl seiner Protagonisten, Geschichten und Bilder beweist Regisseur Paolo Poloni grosses Feingefühl und Geschick. Es sind die kleinen Details und der besondere Blick auf Menschen und Orte, die diesen Film ausmachen. Kleine Szenen aus dem Alltag, die jemand anderem vielleicht nicht einmal auffallen würden, lassen das Publikum schmunzeln oder staunen. Trotz des tragischen Hintergrunds gelingt Poloni auf diese Weise ein lebensfroher und humorvoller Film, der den Zuschauer auch mal in schönen Bildern schwelgen lässt. Die Musik, die Minos Matsas dazu komponierte, nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Geprägt von einem Gemisch aus griechischen, jüdischen, arabischen und balkanischen Einflüssen führt sie wunderbar melancholisch und dennoch lebensfroh durch den Film. Doch am schönsten ist es, wenn die Protagonisten selber die alten Lieder anstimmen.

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Leider sind in nächster Zeit keine weiteren Aufführungen des Films geplant, dafür ist ab heute bis am 21.12. «Mulhapar», der neuste Film von Paolo Poloni, im Stattkino zu sehen.