Sehnsucht Allmend oder: Südpol vs. Lunapark

Südpol Luzern, 29.04.2016: Als Familienausflug und für Ruhesuchende gleichermassen zu empfehlen: Das Musiktheater «Sehnsucht E.D.E.N.» mit dem Luzerner Mädchenchor. Ein Augenschein bei der Premiere.

Erst mal der Garten Eden Allmend. Ein idyllisches Bild, wie da Jung bis Alt auf dem Südpol-Balkon versammelt sind, während die Abendsonne durch die aufgrünenden Baumkronen streift. Die Strahlen weisen zum Fallturm des Lunaparks hin. Infernalische Schreie von Schwerelosen erreichen die Tore des Südpol-Bistros. Die Bühne ist schnell ausgemacht: gigantische, helle Kreisfläche hinten an der Wand, vorne, fast schon gefährlich über dem Publikum, hängt ein Klotz – Granit oder Geschenkpaket? Links das Musikantentrio. Visuell unauffällig und akustisch hilfreich führt es mit Piano, Bass und Perkussion durch das einstündige Stück.

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Doch das Wichtigste in der Mitte: Die 70 Protagonistinnen liegen dicht gemengt auf einem monströsen Sofa, hellwach in Schlummerposen. Das Sofa entpuppt sich beim ersten Szenewechsel als erstens viele kahle Matratzen und zweitens viele Europaletten. Die Mädchenschar tanzt sich mit diesen zwei Elementen gekonnt durch den Abend: von Schleckwaren-Salon zu Dschungel zu Basin zu Laufsteg zu Treppe zu Barrikaden. (Und während dem Applaudieren klettern bereits die ersten Bälger aus dem Publikum drauf herum – Schauplatz wird Spielplatz.) Geschickt geben die weissen Matratzen und die Kreisinstallation dem stimmungsmachenden Licht Raum und Form. Auch die Paletten wissen mit fluoreszierender Bemalung zu überraschen. Meistens aber ist die Bühne von mattem Hell erfüllt. Wohlig wandeln darin die Mädchen in ihren Pastellstoffen umher.

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Ein Chor ist zum Singen da. Für Schauspiel und Spannungsbogen kommt man nicht her, auch wenn hie und da eine Musical-Diva von Morgen aufblitzt. Die Redeparts sind karg, manchmal haben die Äusserungen weder Stimme noch Haltung, die Sprecherin weiss nicht, wie sie stehen soll, wohin sie sehen soll, vielleicht nicht einmal, was sie sagt. Doch man nimmt es den Kleinen nicht übel. Es ist entweder komisch oder niedlich. Gesungen wird von wenig überraschenden Paradiesbildern (Sandstrand am Meer) und Kinderphantasien (Süsses ohne End). Die Sehnsucht nach Eden wird naiver inszeniert, als es der Werbetext des Stücks verspricht. Doch das ist gut so, weil authentisch. Selbstverständlich wird’s auch nachdenklich: Wenn das Ersehnte erreicht ist, kommt die Sucht nach dem Nächsten. Differenzierungen à la materielles Begehren vs. seelische Durft, Euphorie vs. Zufriedenheit etc.

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Am Schluss stehe ich wieder auf dem Balkon, diesmal mit einer Südpol’schen Premiere-Suppe. Es hat sich bald ausgedämmert, das Allmendgewächs schon in schwarze Schatten gehüllt. Der Lunapark grüsst mit Neongeblinke. Vom Wettstreit der Konservenmusiken mit ihrer digitalen Präzision gelangt fast nur ein dumpfer Bass zum Südpol. Hier gönn ich mir durchs innere Ohr nochmals die sanften Mädchenstimmen und lasse die marianische Trance beruhigend nachwirken. Doch trügt die Opposition von Lunapark und Edentheater. Denn das Schleckzeug und die «Ägschn», von denen sie hier gesungen haben, finden sie dort drüben, solange das Geld reicht.

«Sehnsucht E.D.E.N.» ist Teil von «Sehnsucht – Das Innerschweizer Kulturprojekt der Albert Koechlin Stiftung»: aks-stiftung.ch/projekt/sehnsucht Luzerner Mädchenchor: luzernerkantorei.ch Grenzgänger: grenzgaenger-luzern.com/