Schlafen ist Scheisse

Liebe Leserinnen und Leser. Es ist zwei Uhr morgens, der Himmel ist wolkenlos, der Mond ist voll. Haller auch. Voll mit Impressionen aus «Radio Sputnik», der ersten Produktion aus dem Hause RollaPfyl. Warum ihr die kommenden Aufführungen im Theaterpavillon nicht verpassen solltet, lest ihr hier.

Kurz wird es dunkel, dann sogleich wieder hell. Und schon sitzt er da: Der Radiopirat DJ (Roger Pfyl). Sitzt auf seinem Stuhl vor einem kleinen Pult, auf dem er sein Radiogenäusel aufgebaut hat. Sitzt vor seinem Mikrofon, spricht. Rezitiert ein Gedicht - ist es Benn? DJ bleibt tagelang wach, behauptet er schlafe gar nie. Dazu schluckt er, nicht wie von einem gewissen James Douglas Morrison in «Black Polished Chrome» propagiert Pillen, sondern Leitungswasser. Nacht für Nacht geht er mit seiner One-Man-Show für andere Insomniker aus Sendung. Referiert, dass Schlafhormone die Kreativität zerstörten, «telefoniert» mit imaginären Freunden wie Gerry, dem Autobahntankstellenshopverkäufer, der strickenden Sextelefonistin Jacqueline und einer schrulligen Nachtschwester, deren Namen mir entfallen ist. Musik wird nicht gesendet, DJ singt die Songs selbst. (u.a. auch «Twilight» von Antony, der mit seinen Johnsons soeben wieder was aufgenommen hat, eine der schönsten Oden auf das «Nachten» überhaupt). Auf einmal ist's vorbei mit dem einsamen Schwadronieren. Der komplexbeladene Papeterieverkäufer und Hobbymusiker Stevie (Christov Rolla) hat DJ aufgespürt und entert das Studio mit seinem Keybord - Verzeihung, Stage Piano. Er will dem Radiopiraten beim Senden zuhören, was bei dem eine Redeblockade auslöst. Es folgen Ablehnung, Vergraulen, Vermissen.  Die Story mündet in einem doch äusserst mittelmässigen (nicht wertend - soll heissen: weder wirklich tragisch noch happy) Ende. Rolla und Pfyl schaffen es in ihrem zusammen mit Regisseur Simon Ledermann entwickelten Stück, zwei  - jeder auf seine Weise originelle  - «Chnuschtigrinde» und ihre Beziehung zueinander mit einem feinsinnigen «Gspöri» zu portraitieren. Der eine ein dauerredender Soziopath, der bloss die Einsamkeit aushält, mit Menschen höchstens einseitig - über seinen Sender - kommuniziert, der andere ein unsicherer Hobby-Musiker, der sich von seinem Job geknechtet und künstlerisch verhindert fühlt, der den Radiomenschen irgendwie bewundert, um dessen Anerkennung buhlt.  Zum Glück wird Mundart gesprochen, denn so kommt das Ganze völlig ungekünstelt rüber. Sprache, Bühnenbild und das natürliche Spiel der Akteure schaffen eine stimmige Atmosphäre, die - verstärkt durch die meditative, fast trancehafte Routine der Nacht für Nacht ausgestrahlten Sendung, mal in Lang- mal in Kürzestversion  -  im Verlauf des Stücks einen regelrechten Sog entwickelt. Beinahe jede Episode dieser Geschichte, die nichtsdestotrotz einige Male auf der Kippe balanciert (von wegen Klischees), könnte heute Nacht irgendwo in der Schweiz passieren. Genau so. Und doch ist sie phantastisch. Viel zu diskutieren gab die Szene in der Johnny Cash, Serge Gainsbourg - Rauchen könnt' man auch richtig - und Bob Dylan eine Rolle spielen. Lest Freud und wie Träume (angeblich!! - bei mir ist das überhaupt nicht so) die Realität  umkehren. Master wird Servant und umgekehrt. (Im Traum des Servant). Aber das waren bereits zu viele Tipps. Zügle dich, Schreiberling ...! Hingehen!