Oh my God, it’s Gina (not yet Lollobrigida)

Die junge jurassische Performerin Eugénie Rebetez ist Gina: eine junge Frau, die tanzend, singend, schreiend ins Scheinwerferlicht drängt. Heute noch einmal im Südpol.

Der Theatervorhang ist mit einem Ratsch zu Boden gegangen. Doch da lag noch Gina, und die erhebt sich nun unter dem staubigen schwarzen Ungetüm und versucht sich und dem Vorhang eine Gestalt zu geben. Sie knetet über ihrem Kopf die Falten, reisst sie auseinander, verwurstet sie neu, und man denkt unweigerlich an Mummenschanz. Nur, dass hier einfach kein Gesicht draus werden will. Und ein Gesicht muss nun mal präsentieren, wer auf die Bühne will. Und das will Gina. Ganz dringend. «Welche Maske versteckt mich am besten?», fragt sie später. «Ist es wirklich mein glückliches Gesicht?» Was Gina zu verstecken hat, ist ihre Einsamkeit und ein – gemessen an den Massstäben des Showbusiness – körperliches Handicap. Es ist aber auch ihr immer verzweifelteres Bemühen, es irgendwie ins Scheinwerferlicht zu schaffen: «My name is Gina / Maybe one day I am a diva.» Ja, in diesem «maybe» liegt die ganze Fallhöhe dieser Geschichte, dieses Abends, und die atemraubende Szene, da Gina am Theatervorhang scheitert, ist nur einer der Momente, da man als Zuschauer aus der grössten Heiterkeit ins finstere Loch der Traurigkeit hinab saust.

Eugénie Rebetez ist Gina, diese «Mischung aus Josphine Baker, Nina Hagen und Zouc, einer jurassischen Komikerin», wie Rebetez in einem Interview erklärt hat. Die 26-jährige Performerin ist in Genf geboren, bei Delémont im Jura aufgewachsen und lebt heute in Zürich. In Belgien und Holland zur Tänzerin/Performerin ausgebildet, trat sie in «Öper Öpis» auf, einem Stück der begnadeten Zimmermann & de Perrot. Und jetzt also ihr erstes Solo, in dem es genau darum geht: Um den Tritt hinaus aus dem Einzelleben auf die Bühne, um die Divawerdung, oder auch nur ums Strampeln um ein bisschen Scheinwerferlicht. Zur jurassischen Hymne, die sie auf der Trompete gleich selber spielt, zieht sie aus. Gina trainiert ihren eher unwahrscheinlichen, da massigen Tanzkörper: Diese aerobichaften Tanzetüden gehören zu den komischsten Szenen des Abends, und nebenbei ertappen sie den Zuschauer bei seinen Vorurteilen darüber, wie ein Ballettbody auszusehen hat. Den ganzen Abend über sucht Gina ihre Rolle, und manchmal bemerkt sie bei all ihrem mutigen, aber auch prekären Strampeln nicht, dass die Scheinwerferkegel längst an sind. Leer und unbenutzt liegen sie dann neben ihr auf dem Bühnenboden. Gina versucht sich mal als lasziv-traurige Chanteuse am Mikrofonständer, die «nul» auf «ridicule» reimt, mal als amerikanisches Showgirl, dann wieder in einem Robotertanz zu Techno oder als comic-hafte, überzeichnet gelehrige Tanzschülerin zum Gesang der grössten anzunehmenden Diva, nämlich Maria Callas («Casta diva» aus Bellinis «Norma»). Umwerfend, was die Rebetez alles kann. Und nur, weil sie dies kann, kann sie sich auch so sehr dem grossen Gelächter preisgeben, um nicht zu sagen der Lächerlichkeit. Gina, das ist Lachen und Lächerlichkeit im Unisono, das ist Grazie und Groteske im Engtanz, das ist Slapstick – und Stille. Denn immer wieder gibt es diese Bilder von brutaler Traurigkeit: Wie Gina in einer Fressattacke in einer langen Szene das Scheinwerferlicht regelrecht in sich hineinstopft, muss man gesehen haben. Der Trost kommt mit dem letzten Bild: Gina lässt ihr ganzes Lebensmobiliar am Rand des einen, letzten Lichtkegels kreisen – auf dem Theatervorhang, den sie wie eine Trauerschleppe hinter sich herzieht. Ein schöneres Bild dafür, wie jemand sein kleines Leben im Bühnenlicht zum Tanzen bringt, habe ich noch nie gesehen.

Letzte Luzerner Vorstellung heute, 20 Uhr, Südpol.