Nicht angestaubt – nicht abgestaubt – «Le Toréador ou l'accord parfait» am Luzerner Theater

Mit einem kleinen, amüsanten Stücklein ist dem Luzerner Theater das gelungen, was manche für das Schwierigste halten, nämlich zauberhafte Leichtigkeit, charmanter Witz, temporeiche Aktion. Das Hochgelingen verdankt sich auch einer fabelhaften Protagonistin: der Sopranistin Sumi Kittelberger.

Die sogenannte «Dreieckgeschichte» oder «ménage à trois» ist eine entlang der Zeitschiene gestauchte Kompaktversion der seriellen Monogamie, welch letztere ja das zum jetztigen Zeitpunkt gerade angesagte und gesellschaftlich voll sanktionierte Modell der «Beziehungsführung» darstellt, zusammt ihren Varianten, Abwandlungen und Weiterwucherungen als da wären die «Patchwork-Familie», die «Lebensabschnittspartnerschaft» und was der unerträglichen Wortungetüme im Idioten-Jargon der political correctness mehr sind. Nicht dass in linksbünzligen, mittbiederen oder gar rechtsknorzigen Kreisen das Dreieck nun deswegen ohne Naserümpfen geduldet würde; die Kompaktvariante bleibt auch heute so tabuisiert, wie es persönliche Verlustangst und das gesellschaftliche Problem der eisernen Regel von Abendesseneinladungen zu zweit nun einmal einfordern. Aber das ist auch gut so, denn ein Witz ist ja nur ein Witz, wenn er Tabus verletzt, weshalb es solche weiterhin braucht, wenn Witze möglich sein sollen. Dass der Witz im Theater an diesem Premierenabend durchaus Zündstoff barg und auch weitgehend abbrannte, beweist, dass das Tabu über dem Zuschauerraum schwebte. Für eine Dreiecksgeschichte braucht es nur ganz genau drei Leute. Dieser fast schon experimentell minimalistische Ansatz liegt der «opéra bouffon» des Franzosen Adolphe Adam nach dem Text eines gewissen Thomas Marie François Sauvage zu Grunde. Dramaturg Christian Kipper hat das französische Originallibretto übersetzt und bearbeitet, was ihm ganz hervorragend gelungen ist, im Gegensatz zu dem ellenlangen und bestialisch drögen Text, einer Kompaktfassung seiner Dissertation, mit dem er das Programmheft und dessen anfangs gutwillige Leser erfolgreich in Zombie-Starre zu verhexen versucht. Der Plot dreht sich darum, was mit einer Frauenseele in einem Frauenkörper geschieht, wenn der Gatte Letzterer nur noch einmal in der Woche abstaubt, Erstere einen Putzfimmel entwickelt und sich zusehends in kitschige Tagträume von einem Liebhaber mit süsser Silberflöte verliert, worauf sich dieser dann auch prompt materialisiert und dank der perfiden und bis heute breitestens in Gebrauch stehenden Psychoterrormethoden der Schürung eines schlechten Gewissens in der Folge der innerehelichen Gruppendynamik offenbar auch erhalten bleibt: ménage à trois. So kurz, so platt, so boulevardesk, so landtheaterhaft. Aber: Da ist diese vom ersten Takt weg schmissige, schmeichlerische, süffige und taghelle Musik des Adolphe Adam, die die eigentliche Offenbarung des Abends darstellt. Man könnte sich ohrfeigen, den Mann nicht früher gekannt und gewürdigt zu haben. Hier ist das Bindeglied zwischen Mozart und Offenbach. Diese kleingliedrigen, transparenten und melodiösen Liedchen mit ihren leicht hingestreuten instrumentalen Gesten und Kommentaren haben den Witz und den Charme eines Jacques Offenbach, auch wenn das Libretto trotz allem an Frechheit doch nicht ganz mit den besten Texten des Übervaters der satirischen Oper mithalten kann. Und in den Ensembles nähert sich Adam sogar Mozart, wenn er die Figuren gemeinsam in unterschiedlichen Gemütszuständen und daher Tonfällen plappern und singen lässt. Dass Adolphe Adam auch bei Rossini reingehört hat, sei an dieser Stelle durchaus positiv vermerkt, da die höllisch schwere Koloraturen-Akrobatik dieses Belcanto-Spezialisten gewissermassen als Kontrast zu dem schwerelosen Stück diesem ein amüsantes Glanzlicht aufsetzt. Wenn die Dame des Hauses, die laut Textbuch übrigens eine gewesene Opernsängerin ist, ihre erotische Ekstase in wilden Trillern auf der Basis eines Kinderliedes herausgurgelt, so ist das schon fast zum Schreien komisch. Es ist vielschichtig, historisch informiert, anspielungsreich; und so wie Sumi Kittelberger das macht, ist es sehr wohl hohe Gesangskunst und Gurgelakrobatik, wobei die Darstellerin gleichzeitig aber immer auch augenzwinkernd neben der eigenen Figur steht und leise den Kopf schüttelt ob des Mordsaufwandes und der Hysterie. Überhaupt trägt die phänomenale Sumi Kittelberger sängerisch und darstellerisch den Abend, was die Leistungen von Flurin Caduff und Utku Kuzuluk als Ehemann und Hausfreund nicht schmälern soll. Die Musik gibt das Tempo und die Grundfarbe vor, und so spielen alle drei mit offensichtlicher Lust, und Johannes Pölzgutter als Regisseur gelingt es, mit perfektem Timing den Bogen von Musiknummer zu Musiknummer und durch diese hindurch gespannt zu halten. Hübsche kleine Regieeinfälle sorgen für Abwechslung. Natürlich sind die Charaktere stark auf Karikatur hin angelegt, natürlich hätte man ihnen einen glaubwürdigeren und vertieften Charakter und eine Geschichte geben können. Möglicherweise aber hätte das das Geschichtchen auch schon überfrachtet. Und so goutiert man für einmal Grimassen und überzeichnete Albernheiten. Für das Feinstoffliche steht hier ja die Musik, dies auch dank der leichten, federnden und schlanken Interpretation durch das Luzerner Orchester und den Dirigenten Florian Pestell. Die gute Laune im Zuschauerraum, die Begeisterung und der riesige Applaus am Schluss: Sie waren echt und herzlich und nicht von der Pressestelle nachträglich erfunden.

Bis 19. Mai 2012 am Luzerner Theater