Napoleon in Adiletten

«In Amrains Welt. Auf der Suche nach der wiedergefundenen Zeit» nach Texten von Gerhard Meier, inszeniert von Ueli Jäggi, premierte gestern Abend im Luzerner Theater. Es durfte viel erwartet werden. Die gestern präsentierte Melange aus den Werken von Meier blieb aber grösstenteils blutleer und in ihrer Auswahl sonderbar beliebig.

Es war zu befürchten, dass diese schlichten, zurückhaltenden und unaufgeregten Sätze auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zerschellen. Sie sind von einem Mann erschaffen worden, der selbst eine Biographie aufweist, die literarische Fiktion sein könnte: Meier – geboren 1917 – gibt nach ersten zaghaften Versuchen während des Studiums das Schreiben auf und arbeitet bis 1957 in einer Lampenfabrik in Niederbipp, um sich dann mit umso grösserem Drang wieder dem Schreiben zu widmen. Immer mit grosser Bedächtigkeit und Umsicht. Für die vorliegende Bühnenfassung wurde sein dreiteiliges Meisterwerk «Baur und Bindschädler» zu einer Bühnenfassung destilliert. Und dieses Geflickte, Geklebte und Verwobene ist diesem Stück deutlich anzumerken. Bald  stellt sich die Kernfrage: Wieso all diese Mühe? Ist weniger nicht mehr? Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Gerhard Meier trotz bescheidenem Wesen mehr Beachtung – auch oder vielleicht gerade posthum – verdient hätte. Deshalb auf Teufel komm raus eine Bühnenadaption zu fertigen; dafür überzeugte das Präsentierte zu wenig. Einiges wurde unternommen, das Stück in ästhetischer Hinsicht zu retten: Die Bühne (Werner Hutterli), die mit Beflissenheit der handwerklichen Wirkungsstätte von Meier nachempfunden wurde, überzeugt vollkommen trotz des Umstandes, dass sie unfreiwillig die latent vorhandene, unterkühlte Distanz noch verstärkt. Dank den Effekten von Licht und Ton werden in den besten Szenen berührende, einprägsame Bilder gezaubert: Stark, wie die Schauspieler im Dunkeln – nur durch das gespenstische Hell eines Beleuchtungstisches gezeichnet – gemeinsam in leises Singen einsetzen. Thomas Douglas mimt Bindschädler konturlos, währendem die anderen Schauspieler – mit Ausnahme von Wiebke Kayser als Magazinerin – nicht zwingend erscheinen. Zu einem komischen Auftritt kommt Wolfgang Lauber als Napoleon mit Adiletten; ein Wink mit dem Zaunpfahl auf Tolstois Krieg und Frieden, eines der liebsten Bücher von Meier. Andauernd wird das Sprechen der Protagonisten durch mechanische Geräusche durchbrochen, sie werden gleichsam zur Sprachlosigkeit verdammt. Es ist zu danken, dass Gerhard Meier diesen Bann gebrochen hat, seine schriftstellerische Stimme (erneut) gefunden und seiner Nachwelt solch leise Literatur hinterlassen konnte. Verdienstvoller Weise hat das Luzerner Theater unter der Leitung von Ueli Jäggi den Versuch gewagt (allerdings nicht als erste), die Bühne frei zu machen für Meier. Damit zu stolpern, ist mehr als verzeihlich.

Bis 19. Februar 2011, Luzerner Theater