Muss es sein?

Kunstmuseum Luzern, 12.12.2016: Die «Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen 2016» eröffnete am 9. Dezember und wird bis am 12. Februar andauern. Juriert wurde dieses Jahr von Sammlungskurator Heinz Stahlhut. 

Der Komponist Arnold Schönberg äusserte einmal, «Kunst» komme nicht von «Können», sondern von «Müssen». Dass die erste Hälfte der Aussage weitgehend korrekt ist, weiss, wer sich etwa auf dem Internet Arbeiten und Projekte aus der «Hochschule Luzern – Design und Kunst» ansieht oder auch nur oberflächlich verfolgt, was an Hervorbringungen der immer gleichen lokalen Subventionsabsahner hochgejazzt oder gleichgültig brav und kritiklos abgehakt wird. Bleibt also die Frage, wie es mit dem «Müssen» steht. Muss das alles wirklich sein, was auch dieses Jahr wieder unter dem Titel «Jahresausstellung des Zentralschweizer Kunstschaffens» im Kunstmuseum Luzern präsentiert wird? Wir sind zu verschiedenen Malen hingegangen, haben aus verschiedenen Erwartungshaltungen und mit unterschiedlichem kunsthistorischem Rüstzeug hingeschaut, uns in Analyse und Urteil teils schnell gefunden, teils länger kontrovers diskutiert. Es war uns von Anfang an vor allem klar, dass es ungut, ja nekrotisch ist, wenn immer nur platt berichtet wird, was stattgefunden und herumgestanden hat, wenn man liebe Freunde und Bekannte hat, die man nicht beleidigen möchte, wenn sich also alle immer entweder gegenseitig auf die Schulter hauen oder dann aber aus vollkommen kunstfremden Gründen die Preisgelder nicht gönnen mögen. Gerade der Punkt mit den Freunden und Bekannten macht die Sache zugegebenermassen schmerzlich schwer. Der Unterzeichner steht wenigstens nicht im Verdacht, es in der regionalen Kunstwelt selber noch zu etwas bringen zu wollen.

Luzerner Ferienpass

Den ersten von sechs Sälen betretend, denkt man sofort, dass man all das, was da hängt und steht, in den letzten paar Jahrzehnten schon Dutzende von Malen so oder ähnlich gesehen hat, und es drängt sich der Eindruck auf, dass man es mit genau dem zu tun hat, was gemeinhin so unter «zeitgenössischer Kunst» verstanden wird. Im Falle einer grellbunt und tapetig mit Rhomben verzierten Leinwand von Stefan Davi, der seine Karriere als Kunstschaffender einst mit vollgemachten Kondomen unter dem Titel «Eigenwix» begann, ist das Dejà-vu wahrscheinlich ganz wörtlich zu nehmen, da das vom Kanton angekaufte titellose Werk bereits so beschädigt und auch von Beginn weg schludrig gefertigt aussieht, dass zu vermuten ist, dass es bereits einige Jahre bis Jahrzehnte in irgendeinem Abstellraum auf seine Auferstehung in kantonalen Bürokorridoren gewartet hat. Zwei Werke von Davis Schwester Barbara hängen gleich nebenan. Es sind zwei Fotos, eine wenig inspirierte, ja spröde Herumspielerei mit Räumlichkeiten, so wie das manch Einer und manch Eine beim Ausprobieren einer neuen Software nun mal tut. Als jüngstes Hätschelkind der geldspendenden Luzerner Kunstkommissionen hatte sie bereits letzten Monat stolze 25’000 Franken für einen Publikationsbeitrag eingesackt und erhält nun auch noch 4800 Franken für ihre beiden Prints mit dem Titel «Body» und «Soul». Es zeigt sich hier, dass auch falsche Dichotomien einem Kurator Sinn suggerieren können, wenn sie nur auf Englisch verbalisiert werden, einer Sprache, die auch in diesem Jahr in der Ausstellung breit zur Anwendung kommt. Ebenso im ersten Raum sehen wir drei Arbeiten von Martina Kalchofner. Mit Bitumen und grosser Geste malt sie sich die düstere Befindlichkeit von der Seele. Der Luzerner Grafiker und Zeichner Christoph Fischer darf einen «analogen Scanner» (eines jener Holzkonstrukte, welche auch immer wieder gerne beim Luzerner Ferienpass mit Kindern und Jugendlichen gebastelt werden) ausstellen.

Vier Sekunden Faszination

Im zweiten Saal gehen wir unbeeindruckt an einer Leinwand vorbei, die Eric Studers hoffnungslosen Versuch, Francis Bacon hinterherzumalen zeigt, und machen dann Halt vor dem neuesten Modell aus Romuald Etters Winterkollektion der Wandverschönerungen. Das Jahr 2016 steht bei ihm ganz im Zeichen der Farbe Lila, mit wenigen gelben und blauen Akzenten und ist insgesamt eher dunkel gehalten. Das ausgestellte Modell «Le Petit Cauchemar» zeigt sich klassisch-elegant, ganz ohne jene strukturierenden Rasterpunkte und Linien, welche sein Schaffen in den letzten Jahren so sehr bestimmt hatten. Nichtsdestotrotz, der Kulturförderungskommission hat's gefallen, und sie bezahlte für den Siebdruck 7000 Franken. Beat Brachers «Grosse Explosion» widerspiegelt einmal mehr seinen Hang zu knalligen Farben, und man fragt sich auch bei diesem jüngsten Werk, weshalb der Künstler seit Jahren ausgerechnet im Bereich der figürlichen Malerei tätig ist, obwohl er dazu doch so gar kein Talent hat. Fast wären wir ob der wandfüllenden Arbeiten über einen kleinen Frauenkunstklumpen von Diane Seeholzer gestolpert, welcher den poetischen Titel «Vogelbad» trägt und einen vermuten lässt, dass besagter Klumpen wohl versehentlich draussen vergessen wurde, bis er so aussah, wie er jetzt aussieht und durch Betitelung in den Stand des Kunstobjekts erhoben wurde. Tobias Oehmichen, seines Zeichens Leiter Ausstellungs- und Museumstechnik des Kunstmuseums Luzern darf dank Heinz Stahlhut, seines Zeichens Sammlungskonservator des Kunstmuseums Luzern, zwei Wolkenbilder zeigen, deren Herstellung vier Jahre seiner künstlerischen Schaffenskraft in Anspruch nahmen und uns leider nur für vier Sekunden zu faszinieren vermögen.

Gegossene Luft

Wir schreiten in den nächsten Raum, wo uns die Serie von Fotografien von Roger Harrison erwartet. Wir sehen im Werk «Erinnerungen an Erinnerungen» zehn etwas gar biedere und unbedarfte Fotos von lokalen Sehenswürdigkeiten, welche in altertümlicher Manier abgelichtet wurden, und ein wenig mit Zeit und Vergänglichkeit kokettieren. Eine nette Idee, die bei uns die Frage aufwirft, ob ein guter Fotograf denn auch zwangsläufig ein Künstler sein muss. Wir schauen uns um und sehen die Arbeit von Asi Föcker. Sieben Bronzeteile stehen als stumme Zeugen und Überreste von Holzblockflöten da, welche im Rahmen einer Performance in einer Giesserei während des Gusses zum Klingen gebracht wurden. Föckers Arbeit «Solid Air» ist visuell stimulierend, haptisch, ästhetisch ansprechend und macht neugierig. Spannend geht es dann gleich bei Otto Lehmann weiter, dessen 37 Zeichnungen auch nach Jahrzehnten des künstlerischen Schaffens immer noch von einer ungebändigten Fabulierlust und Frische zeugen. Eher lau wirken hingegen die beiden grossformatigen, sehr aufwändigen Arbeiten von Monika Feucht, die immer noch in bewährter Manier Strukturen und Oberflächen zu ergründen sucht. Fliessendes steht gegen Gebändigtes. Was den Kurator dazu bewog, den Grafiker Urs Holzgang, der mit feinen Strichen Transparenzpapier beidseitig bekritzelt, für die Ausstellung auszuwählen, ist nicht nachvollziehbar. Mag sein, dass es eine Quote an Nicht-Luzernern zu erfüllen gab, um die geldgebenden Kantone zufrieden zu stellen, oder aber man wollte in der Adventszeit dem Publikum noch schnell ein paar Tipps zur Gestaltung von Karten für den Weihnachstbasar mitgeben.

Zwischen Archaik und Piktogramm

An Hans Richter und Dada fühlen wir uns bei Kyra Tabea Balderer erinnert. Sie lotet in ihren Fotografien mittels eines ausgeklügelten Systems immer wieder Raum und Form aus – wir befürchten jedoch, dass wir die Früchte dieser einen Idee noch viele Jahre sehen werden. Judith Leupi vermittelt uns einen Eindruck von dem, was sie als Studentin im Masterkurs einer schottischen Kunsthochschule zu schaffen vermochte: Digitalisierte Treppen und Schrauben schweben auf monochromem Grund. Wir gratulieren der jungen Künstlerin zur bestandenen Meisterinnenprüfung und freuen uns auf Jahre der kreativen Bereicherung der Luzerner Kunstszene. Corinne Odermatt stellt und hängt drei Fahnen in den Raum, die Assoziationen an tibetanische Kultgegenstände oder auch chinesische Propagandakunst wecken. In bewusst naivem und plakativem Stil, in einfachen starken Farben werden ein Vulkanausbruch und zwei Explosionen dargestellt. Die Kombination von Archaik und Piktogramm wirkt gelungen und spannend. Die behandelten hochdynamischen Ereignisse werden in eine starre, mythische Sprache gefasst, um sie erträglich zu machen. Annemarie Oechslin ist offenbar nur mit einem Ausschnitt aus einer Arbeit vertreten, welche «200 Bäume für ein Kunsthaus» vorsieht. Die gezeigten dekorativen Collagen von getrockneten Blättern und simplen Zeichnungen könnte – jaaa, und hier ist der Satz: – jedes begabtere Schulkind interessanter fertigen. Die ausgebildete Zeichen- und Werklehrerin Anna-Sabina Zürrer zeigt uns in ihrer Arbeit «sich sammeln», was ein Guttationstropfen ist. Was an der Dokumentation dieses Vorgangs Kunst sein soll, entzieht sich unserem Verständnis. Ratlos stehen wir auch vor dem Video von Moritz Hossli, wie Zürrer auch er ein jüngerer Absolvent der «Hochschule Luzern – Design & Kunst».

Neufindungen des Kunstbegriffs

Um eine clevere Kuratorenfalle mit englischem Köder dürfte es sich bei der Arbeit der mit allen Marketing-Wassern gewaschenen Lucie Heskett-Brem handeln, die ein paar Kettchen zu einem mehrdimensionalen Gehänge verbindet und das Ganze als «Wearable Singularity» bezeichnet. Ein rares Highlight der Ausstellung bildet die Arbeit von Flurin Bisig. Er zeigt einen Tisch, der im Grenzbereich Skulptur und Design pendelnd sich den gängigen Ansprüchen bezüglich Funktionalität und Ästhetik verweigert. In kluger und erfrischend eigenständiger Weise nähert sich Bisig einer möglichen Neufindung des Kunstbegriffs an und stellt gleichzeitig den Vintage- und Design-Liebhabern ein Kunstwerk ins Wohnzimmer. Der handwerklich gekonnte Umgang mit Material, Form und Inhalt ist angenehm anregend. Flurin Bisigs qualitativ hochstehende Arbeit wurde, wen überrascht es, von keiner der Kunstkommissionen für ankaufswürdig gehalten.

Im Zeichen des Scheiterns

Der sechste und letzte Raum steht ganz unter dem Thema des Scheiterns, angefangen bei Edward Wright, dessen unbedarfte Kulissenmalerei auf einem Paravent auch in seiner neuesten Arbeit dem verblasenen Titel nicht gerecht zu werden vermag. Als tragisch ist auch das Schaffen von Marcel Glanzmann anzusehen, der mit seinen beiden Werken «Memorabilia Nr 1» und «Memorabilia Nr 2» sich erneut mit dem Thema des Stillebens auseinandersetzt. Dieses Mal rückt er Versatzstücke aus dem eigenen Schaffen ins Zentrum seines Interesses. Mit handwerklicher Bravour malt er gegen sein künstlerisches Unvermögen an und scheitert damit ebenso, wie bei seinen früheren Versuchen. Als Akt der Verzweiflung darf man dann auch seine Preisgestaltung verstehen, welche die beiden mittelgrossen Leinwände auf 28'000 Franken ansetzt. Für diese Summe hätte man jüngst im Auktionshaus Koller eine signierte und nummerierte (6/9) Bronze Skulptur vom weltbekannten Künstler Henry Moore erwerben können. Hansjürg Buchmeier biedert sich dieses Jahr mit seiner putzigen Figurengruppe auf weissen Sockeln der asiatischen Kunst an – und schafft eine Arbeit, die man so oder ähnlich bereits vor Jahren auf einer Kunstmesse oder in Hochglanzmagazinen gesehen hat. Wie in seinem ganzen Schaffen, fehlt Buchmeier neben gestalterischem Talent auch hier ein gewisses Mass an Eigenständigkeit. Bleibender Widerspruch bei Rebekka Steiger: Ihre figurativen Ölbilder «Feuerfangen» und «Set the world on fire» vermochten teils zu beeindrucken, regten zum Nachdenken an, gaben Fragen auf und gefielen. Am Gefallen entzündete sich die Gegenposition, welche bloss farbenfrohe «Annabelle»-Illustrationen mit einem Schuss Banksy sehen will.

Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen, noch bis 12. Februar, Kunstmuseum Luzern