Mädchen wie Vögel, Jungs wie Frösche?

Kunstmuseum Luzern, 18.3.2015: Praktisch jeder hat es schon gemacht, die einen lieben es, die anderen verabscheuen es: Selfies. Ein zeitgenössisches Massenphänomen, das an die Tradition von Portraits in der bildenden Kunst zu erinnern vermag. Ein Studierendenprojekt hat sich der zahlreichen Fragen zum Thema Selfie angenommen und innerhalb einer Podiumsdiskussion nach Antworten gesucht.

49 Stühle stehen im Vermittlungsraum des Kunstmuseums Luzern bereit. Eine durchmischte Personengruppe wartet gespannt auf die angekündigte Auseinandersetzung zwischen Selfiekultur und Portraitkult. Anlässlich der aktuellen Sammlungspräsentation Von Angesicht zu Angesicht hat das Philosophische Seminar der Universität Luzern in Zusammenarbeit mit dem Kunst-Forum Zentralschweiz und dem Kunstmuseum Luzern zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Selfies und Selbstporträts in Kunst, Philosophie und im Alltag eingeladen. Es handelte sich gleichzeitig um den Abschluss eines Studierendenprojektes, das neben einer Gegenüberstellung von Selfieismus und Portraitmalerei auch eine collagierte Selfie-Wand beinhaltete.

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Der Abend war in drei Teile gegliedert: Neben einer kurzen Einführung durch die Projektleiterin referierten die Studenten – es waren keine Kunststudenten – über ihre Projekte. Die erwähnte Gegenüberstellung von Selfie und Selbstportraits aus der Ausstellung des Kunstmuseums gestaltete sich als Suche nach Parallelitäten und Unterschieden. Eine Wand zierte die Ergebnisse in Papierform, was Fragen nach der Spontanität, der technischen Realisierbarkeit, Photoshop-Bearbeitung und Identitätsdarstellungen aufwarf. Als installatives Herzstück des Projekts – in einer hyperkurzen Ansprache angepriesen – prangerten hunderte von Mitstudenten und von Facebook eingezogene Selfies an einer weiteren Ausstellungswand. Als dritter Programmpunkt sollte das Massenphänomen mittels einer Expertenrunde (die sich bei der Vorstellungsrunde als Nicht-Expertenrunde entpuppte) eruiert werden. Dazu reisten das Künstlerduo Haus am Gern, Rudolf Steiner d. J. und Barbara Meyer Cesta, der als Facebook-Künstler vorgestellte Jonas Samuel Baumann, Susanne König (Kuratorin, Kunstvermittlerin) und der Performancekünstler Gregory Hari in das Kunstmuseum Luzern.

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Einige ablauftechnische Turbulenzen und die latente Nervosität der sonst souveränen Studierenden wurden schnell überwunden, um anschliessend mit vollem Eifer der Frage nach der zeitgenössischen Rezeption der Selfiekultur nachzurennen. Obwohl schon früh klar wurde, dass keine eindeutigen Antworten auf die Fragen Was ist ein Selfie?, Kann ein Selfie Kunst sein? oder Was macht ein gutes Selfie aus? gegeben werden konnten. In einem abwechslungsreichen Hin und Her zwischen den Protagonisten wurde die Wirkung von Selfie als digitales Selbstportrait und Auswuchs einer jungen Internet- und Smartphone-Generation analysiert. Ziemlich frei, assoziativ und auf persönlichen Erfahrungen basierend plauderten die Gäste über ihren Umgang mit Selbstportraits und referenzierten nicht selten auf ihre eigenen Arbeiten. Als Hautaspekte kristallisierten sich Spontanität, Schnelligkeit, Selbstbedienung und Selbstdarstellung als Parameter der Selfiekultur heraus. Interessante Differenzierungen gab es vor allem geschlechterspezifisch; beispielsweise porträtieren sich Mädchen (und der Autor) tendenziell aus der Vogelperspektive während Jungs sich mehrheitlich mit Untersicht ablichten. Weiterführende Fragestellungen zielten auch auf die Anmassung, dass weibliche Geschöpfe den Hang zur Selbstdarstellung zelebrieren, um dem anderen Geschlecht mit auffallenden Posen und einer gehörigen Portion Freizügigkeit zu gefallen. Desweiteren waren sich sämtliche Teilnehmer einig, dass das Selfie unweigerlich mit der Erfindung des Smartphones einhergeht. Was sie am Ende auch gleich unter Beweis stellen mussten:

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Während sich Albrecht Dürer oder Frida Kahlo innerhalb der Kunstgeschichte mit ikonischen Selbstbildnissen heroisiert haben, sind es heutzutage – vor allem auch in Luzern – die asiatischen Touristen und selbstredend junge Leute, die sich dem Selfie-Trend verschrieben haben. Man könnte schon fast behaupten, dass das Smartphone zum Pinselwerkzeug des 21. Jahrhundert mutiert. Schlussendlich wurden an der Podiumsdiskussion vielerlei zentrale Aspekte der gegenwärtigen Selfiekultur angesprochen, ohne aber ernsthafte Analysen zu generieren. Es war vielmehr ein heiteres Erörtern des geistigen Inhaltes zwischen der Selfiemania und dem historischen Kult, sich in einer Kunstform selbst darzustellen. Es handelt sich definitiv um einen erfolgreichen Trend, dessen Zukunftsaussichten als ambivalent dargestellt wurde. Was kommt nach dem Selfie? Was passiert, wenn das Selfie politisiert wird? Wird der Selfie-Stick auf 5 Meter anwachsen? Oder wird das Selfie out? Man weiss es nicht, darf aber gespannt sein. Ich schreibe jetzt einen Brief mit Tinte und Papier ...