Luzerner Kunst made in Chicago

Die Kunsthalle Luzern präsentiert in einer kurzen Gastausstellung eine Auswahl von Werken der Stipendiatinnen und Stipendiaten des Wohnateliers für Luzerner Kunstschaffende in Chicago.

Unter dem im ersten Moment verwirrenden Titel «10. Werkschau 903 N. Damen Ave.» zeigt die Kunsthalle Luzern in Zusammenarbeit mit dem Verein Städtepartnerschaft Luzern-Chicago das Schaffen von sechs Luzerner Kunstschaffenden. Spätestens nach den erläuternden Worten der Vernissage-Redner ist dem Besucher der Kontext der Ausstellung klar. Die Künstlerinnen und Künstler aus den Sparten Bildende Kunst, Musik, Zeichnung und visuelle Gestaltung profitierten von einem Gastatelier, das sich an der besagten Adresse 903 N. Damen Ave. in der nordamerikanischen Grossstadt Chicago befindet. Diese 10. Werkschau befasst sich mit den vor Ort entstandenen oder inspirierten Arbeiten derjenigen Künstlerinnen und Künstler, die in den vergangenen zwei Jahren das sehr begehrte Artist-in-Residence Stipendium erhalten haben Eine in Masse und Detailreichtum beeindruckende Arbeit liefert der Zeichner und Illustrator Christoph Fischer (*1971), der seine Motive vor allem in den sozial schwächeren und überwiegend von Afroamerikanern besiedelten Vierteln von Chicago gesucht und gefunden hat. In einer verdichteten Hängung und einer markanten Strichführung wird dem Besucher eine Vielzahl von Porträts und Alltagssituationen präsentiert, die an eine regelrechte Milieustudie erinnern. Nach anfänglicher Skepsis beim Zeichner und den Gezeichneten entwickelte sich eine freundschaftliche Synergie und zunehmende Offenheit für die künstlerische Arbeit von Christoph Fischer. Dies führte sogar soweit, dass der Künstler von der Strasse in private Häuser der Quartierbewohner eingeladen wurde. Relativ kontrastreich zu den Zeichnungen aus dem Chicagoer West Side wirkt die Videoarbeit «Roadkill Road», ein Sammelsurium von insgesamt 230 totgefahrenen Tierkadavern, die Fischer während einer Fahrradreise auf der Route 66 nach San Francisco abgelichtet hatte. Die ausgestellten Arbeiten von Jonas Raeber (*1968) sind filmische Zeugnisse von an sich unscheinbaren Begebenheiten in einer Grossstadt. In einer ungewohnten Perspektive aufgenommen, zeigt das 53-minütige Video «Street View» die gesamte Bodenbeschaffenheit während einer sechs Kilometer langen Velofahrt durch Chicago. Auffallend ist der schlechte Zustand des Asphalts, der mit den vielen Schlaglöchern und Rissen die Qualität des Videos mitgestaltet hat. In «Hidden People» wird in voyeuristischer Manier eine Kleinstvideokamera auf die Menschen von Chicago angesetzt, die sie bei alltäglichen Dingen beobachtet und dabei versteckte Beziehungen erkennen lassen soll. Ebenfalls einen Aufenthalt im Chicagoer Wohnatelier absolvierte Lea Achermann (*1964), woraus eine mehrschichtige Fotoarbeit, kleine Objekte und Zeichnungen entstanden sind. «Revelations» sind Fotozeilen, die durch die Aneinanderreihung von Fotos mit Text aus dem öffentlichen Raum entstehen. Nach dem Motto «Was will Chicago mir sagen?» ergeben sich aus Strassenschildern, Werbetafeln oder  Hausbeschriftungen arrangierte Aussagen wie «let’s pull ahead in bliss» oder «we’ve got awsome visions to share». Die kleinen Objekte («Barbies» und «American Spirit») und Zeichnungen basieren auf Achermanns «Stretch Limo Concept» und thematisieren die Stereotypen der amerikanischen Gesellschaft. Der Musiker Christoph Erb nutzte die Gelegenheit des Atelieraufenthalts, um in die Chicagoer Jazz-Szene einzutauchen und mit lokalen Musikern zu experimentieren. Erb veranstaltete im Wohnatelier drei Hauskonzerte, kooperierte mit örtlichen Tanzschulen oder vertonte Experimentalfilme. Aus den entstandenen Aufnahmen veröffentlichte Christoph Erb unter seinem eigenen Label Veto Records vier CDs, die in der Werkschau an einer Hörstation dem Publikum zugänglich sind. Die Auseinandersetzung mit der nordamerikanischen Kultur beeinflusste die Arbeiten von Michelle Grob (*1980) im Sinne von mehr Mut zur Selbstdarstellung, zu Kitsch, Provokation und Wiederholung. Auch in Chicago schlüpfte sie in die Rolle der Hausfrau, die selbstinszenierte Fotos als Freiheitsstatue in der Wohnung erstellt, gehäkelte Porträts von Barack Obama anfertigt oder in einer Videoarbeit den Willis-Tower mittels Zunge reinigt. Cybu Richli (*1977) ist visueller Gestalter und hat in Chicago seine Begeisterung für handgemalte «Sale Posters» entdeckt. Die von Chicagoer Designern kaum beachteten Verkaufsplakate nutzte er als Grundlage für die Kommunikation und Zusammenarbeit mit Ladenbesitzern und Schriftenmaler. Daraus ist eine Reihe von visuellen Experimenten und rein typografischen Plakaten entstanden, die sich mit Schriftzeichen und Linien auseinandersetzt. Auszüge und Beispiele aus seiner umfassenden Dokumentation der visuellen Experimente komplementieren seine Werkschau.

Die Ausstellung «10. Werkschau 903 N. Damen Ave.» ist noch bis am Sonntag 29. April 2012 geöffnet.